Homöopathie bei atopischem Ekzem
Gerade bei chronischen Erkrankungen berichten Patienten nach einer homöopathischen Behandlung von oft erstaunlichen Besserungen des Beschwerdebildes und deutlich erhöhter Lebensqualität (11). Homöopathische Fachzeitschriften sind voll von Kasuistiken, in denen geschildert wird, wie verschiedene, oft schulmedizinisch erfolglos vorbehandelte Patienten unter homöopathischer Therapie beschwerde- bzw. symptomfrei werden. Dies gilt auch für das atopische Ekzem. Nach einer 2-jährigen Behandlung werden die Therapieerfolge von den Patienten aus ungewöhnlich hoch empfunden (11).
Die Homöopathie versteht sich als ärztliche Therapieform mit Einzelarzneien, welche am gesunden Menschen geprüft und in kleinsten Gaben, in der Regel in potenzierter, d. h. verdünnter und verschüttelter, Form nach dem Ähnlichkeitsprinzip verordnet werden („Similia similibus curentur“). Dieses Prinzip beschreibt die Möglichkeit, einen kranken Organismus durch die Gabe eines Medikaments zur Selbstheilung anzuregen, wenn dieses Medikament in der Lage ist, ähnliche Symptome bei gesunden Probanden zu erzeugen. Die Wahl des geeigneten Medikaments erfolgt hierbei nicht in erster Linie aufgrund der klinischen Diagnose, sondern meist phänomenologisch anhand der vom Patienten geschilderten und an ihm beobachtbaren individuellen Symptome. Dabei werden neben den Hauptbeschwerden auch Begleitsymptome bzw. vorangegangene Erkrankungen sowie Persönlichkeitsmerkmale einbezogen.
Eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie.
Die Wirksamkeit des homöopathischen Therapieansatzes ist wissenschaftlich umstritten. Placebokontrollierte klinische Studien erzielten bisher äußerst unterschiedliche Ergebnisse, systematische Übersichtsarbeiten kommen je nach Erkrankung zu positiven (z. B. (12, 13)) oder negativen Ergebnissen (z. B. (14, 15)). Die hier berichtete Therapiestudie wurde bereits 1994 - 1996 durchgeführt. Ihr Ziel war es, die Wirksamkeit homöopathischer Medikamente, die entsprechend den klassisch-homöopathischen Prinzipien verordnet wurden, bei Patienten mit atopischem Ekzem nachzuweisen.
Methoden
Studiendesign
Die Studie wurde als randomisierte, doppelt verblindete Therapiestudie im Parallelgruppenvergleich angelegt. Einziges Studienzentrum war die Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein der Technischen Universität München. Prüf- und Auswertungsplan wurden vor Studienbeginn erstellt und veröffentlicht (16).
Die Studie gliederte sich in eine 4-wöchige Baseline- und eine 32-wöchige Behandlungsphase. Zu Beginn der Baselinephase wurde durch unabhängige Hautärzte im Studienzentrum die Schwere des atopischen Ekzems erhoben. Nach der Baselinephase erfolgten eine erneute Beurteilung der Schwere der Erkrankung sowie die homöopathische Erstanamnese. Innerhalb einer Woche wurde das individuell passende homöopathische Arzneimittel definiert und die Studienapotheke informiert, die auf der Basis der Randomisierungsliste entweder die entsprechende Arznei oder ein Placebo an den Patienten verschickte.
Nach 12 Wochen Behandlung wurden die Patienten erneut einbestellt und der bisherige Therapieverlauf von unabhängigen Assistenzärzten der Klinik beurteilt, ebenso nach 28 und 32 Wochen. Der letztere Zeitraum galt als Vergleichszeitraum zur Baseline, in dem die primären Zielkriterien evaluiert wurden. Zu Beginn der Therapie sowie nach 12 und 32 Wochen wurde der Hautbefund auch fotografisch dokumentiert.
Patienten
In die Studie eingeschlossen wurden Patienten mit der nach den Kriterien von Hanifin und Rajka (17) verifizierten Diagnose einer atopischen Dermatitis. Dabei wurden nur Patienten im Alter von 18 - 35 Jahren berücksichtigt, bei denen nach Ende der Baselinephase > 20 % der Hautoberfläche vom Ekzem befallen waren. Die Krankheit musste seit mindestens einem Jahr bestehen und durfte während der Baselinephase weder mit Kortikoiden (topisch und systemisch) noch mit Antihistaminika oder anderen Therapieverfahren behandelt werden. Verstöße dagegen führten zum Ausschluss aus der Studie. Patienten mit Asthma oder Alkoholabusus wurden ebenso ausgeschlossen wie Schwangere und Patienten, bei denen gravierende Lebensveränderungen bevorstanden (z. B. Hausbau, zu erwartende Arbeitslosigkeit etc.).
In der Studienplanung wurde davon ausgegangen, dass insgesamt 60 Patienten randomisiert werden müssen. Bei einer Power von ? = 80 % entdeckt dann ein 2-seitiger t-Test zum Niveau ? = 5 % einen Effekt (Differenz der Mittelwerte Mw dividiert durch die gepoolte Standardabweichung Std) von 0.74.
Therapie
Alle therapeutischen Maßnahmen wurden von demselben homöopathischen Arzt (J. S.) verordnet, der 1992 die Zusatzbezeichnung Homöopathie der Bayerischen Ärztekammer erworben hatte und seit 1995 auch die volle Weiterbildungsbefugnis besitzt.
Die homöopathische Therapie begann nach der Baselinephase mit der homöopathischen Erstanamnese, die in der Regel 2,5 h dauerte. Deren Auswertung erfolgte innerhalb einer Woche. Der Studienarzt war völlig frei in seiner Therapie, sowohl in der Wahl der individuellen homöopathischen Arznei als auch in der homöopathischen Potenz. Anamnese und Mittelfindung wurden von einer homöopathischen Ärztin supervidiert.
Bei den verwendeten homöopathischen Arzneien handelte es sich sowohl um alkoholische Dilutionen (Potenzstufen LM6, LM12, LM18, LM24 und LM30) als auch um Saccharose-Globuli (Potenzstufen D6, D12, C30, und C200). Diese wurden von der Deutschen Homöopathie-Union (DHU, Karlsruhe) nach den Richtlinien des Deutschen Homöopathischen Arzneibuches (HAB1, 1978) hergestellt. Als Placebo wurden unarzneiliche alkoholische Lösungen mit gleichem Alkoholgehalt bzw. identische unarzneiliche Globuli verwendet, die sich von den Verumpräparaten in Farbe, Form, Aussehen und Geschmack nicht unterschieden. Sie waren daher für Arzt und Patient ununterscheidbar.
Während der gesamten Behandlungszeit war eine Behandlung mit differenten Externa (z. B. Kortikoid-, Teerzubereitungen) ebenso untersagt wie eine systemische Therapie (z. B. Antihistaminika, Antibiotika, Kortikoide). Die Hautpflege erfolgte dem Hautzustand angemessen mit indifferenten Externazubereitungen, die a priori in einer Liste festgeschrieben waren und für den Behandlungsverlauf nicht deutlich beeinflussend befunden wurden. Wenn möglich, wurde die gewohnte Hautpflege des Patienten beibehalten. Zusätzlich waren die Patienten angehalten, auf Kaffee zu verzichten sowie eine speziell entwickelte Zahnpasta zu verwenden, die keine ätherischen Öle (Kampher, Kamille, Pfefferminz) enthielt und somit die homöopathische Therapie nicht beeinträchtigen konnte.
Randomisierung
Die Patienten wurden den Therapien (homöopathische Arznei oder Placebo) auf der Basis einer unstratifizierten Block-Randomisation in der Reihenfolge ihrer Aufnahme in die Studie zugeteilt. Die Randomisierungsliste wurde von einem Biometriker erstellt und in der Studienapotheke unter Verschluss verwahrt. Der Studienarzt hatte zu keinem Zeitpunkt der Studie Zugang zu dieser Liste.
Zielparameter
Zur Beurteilung der Wirksamkeit der Therapie wurde der von Costa und Saurat eingeführte Multiparameter-Dermatitisscore (MP-Score) verwendet (18, 19). Als Hauptzielkriterium wurde die Veränderung des Scores zwischen Baseline (Mittelwert der Wochen -4 und 0) und Therapieende (Mittelwert der Wochen 28 und 32) definiert. Dieser setzt sich aus einem den Hautzustand (und damit den Schweregrad) und einem die Ausdehnung beurteilenden Anteil zusammen, wobei ersterer zu 70 %, letzterer zu 30 % in den Gesamtscore eingeht. Der MP-Score hat eine Spannweite von 0 - 100; Werte ? 20 sprechen für eine leichte, Werte von 21 - 40 für eine mittelschwere und Werte > 40 für eine schwere atopische Dermatitis.
Sekundäre Zielparameter waren unter anderem zwei alternative Instrumente zur Beurteilung der Schwere des atopischen Ekzems: Der Atopic Dermatitis Area and Severity Index (ADASI) (20) und das Severity Scoring of Atopic Dermatitis (SCORAD) (21). Beide beurteilen sowohl den Anteil der von der Dermatitis betroffenen Hautfläche sowie verschiedene mit der Erkrankung verbundene Symptome, wie z. B. die Intensität des Juckreizes oder Schlaflosigkeit. Höhere Werte sprechen jeweils für eine schwerere Erkrankung.
Der Marburger Neurodermitis-Fragebogen (MNF) (22) enthält 113 Fragen zu Problemen bei der Krankheitsbewältigung, die jeweils auf einer 5-stufigen Skala (1 = „nicht zutreffend“ bis 5 = „sehr stark zutreffend“) beantwortet werden müssen. Diese werden zu 5 Summenskalen zusammengefasst: Stigmatisierung, Leidensdruck, allgemeine emotionale Belastung, krankheitsbezogenes Problembewusstsein, Einschränkung der Lebensqualität.
Veränderungen der subjektiven Befindlichkeit wurden mit der Freiburger Beschwerdeliste abgefragt (FBL-G), in der aus 78 Fragen zur Häufigkeit körperlicher Beschwerden (jeweils auf einer Skala von 1 = „nie“ bis 5 = „fast täglich“ beantwortet) 10 Summenskalen sowie eine Gesamtsumme gebildet werden (23).
Der Fragebogen zur Lebenszufriedenheit (FLZ) besteht aus zwei Modulen zur allgemeinen und zur gesundheitsbezogenen Lebenszufriedenheit (24). Dabei wird die Zufriedenheit der Patienten in bestimmten Bereichen mit der jeweiligen Bedeutung gewichtet, die dieser Bereich für den Patienten hat.
Außerdem wurden die Patienten und der behandelnde Studienarzt gebeten, nach Therapieende Globalurteile über den Behandlungserfolg hinsichtlich des Hautzustands und anderer Beschwerden, die nicht auf die atopische Dermatitis zurückzuführen waren, abzugeben.
Statistik
Alle Auswertungen erfolgten auf der Basis des Intention-to-treat-Prinzips, d. h. es wurden alle randomisierten Patienten ausgewertet, unabhängig davon, ob sie protokollgerecht behandelt wurden, die empfohlenen Verhaltensregeln befolgten, unerlaubte Begleittherapien verwendeten oder die Behandlung abbrachen oder nicht. Fehlende Werte in Folgeuntersuchungen wurden dabei nach der Last-observation-carried-forward-Methode ersetzt, d. h. es wurde der letzte verfügbare Messwert angenommen.
Der Gruppenvergleich zwischen Verum- und Placebotherapie erfolgte mittels einer einfachen Kovarianzanalyse (ANCOVA), in der das Hauptzielkriterium als Funktion der Gruppe und des Baselinewerts (lineare Kovariable) modelliert wurde. Berichtet werden das 95 %-Konfidenzinterval (CI) und der p-Wert des zugehörigen F-Tests.
Ergebnisse
Kontaktierte und eingeschlossene Patienten
Insgesamt wurden während des Studienzeitraums 746 Patienten kontaktiert und untersucht. Von diesen wurden 31 (4,2 %) vorläufig in die Studie aufgenommen, d. h. es wurden Basisbefunde erhoben und die Baselinedokumentation begonnen. Die meisten Patienten wurden aufgrund ihres Alters nicht eingeschlossen: 154 waren < 18 Jahre, 100 > 35. Bei 174 Patienten war < 20 % der Hautoberfläche befallen, was ebenfalls zum Ausschluss führte. 50 Patienten litten zusätzlich an Asthma, 26 erhielten zusätzliche Begleittherapien (davon 11 systemische oder topische Kortikoide der Gruppen III und IV) und für 50 Patienten war die Distanz zwischen Wohnung und Hautklinik zu groß, um eine adäquate Behandlung zu gewährleisten.
Von den 31 vorläufig aufgenommenen Patienten stiegen 7 während der Baselinephase aus, sodass insgesamt 24 Patienten randomisiert wurden. Von diesen brachen sieben die Studie wegen Nicht-Wirksamkeit oder Verschlimmerungen des Hautzustands ab, was in der Regel eine medikamentöse Zusatztherapie (Kortikoide, Antihistaminika oder homöopathische Verumtherapie) nach sich zog. Insgesamt wurden 9 Placebo- und 5 Verum-Patienten protokollgerecht behandelt.
Basisdaten
Insgesamt wurden 14 Frauen und 10 Männer im Alter von 27,0 ± 4,0 Jahren in die Studie aufgenommen (Mw ± Std). Die Erkrankung bestand in der Verumgruppe seit 20,9 ± 9,0, in der Placebogruppe seit 17,5 ± 10,4 Jahren (p = 0,41, t-Test). Sie war bei allen Patienten vorbehandelt, in der Regel durch Antihistaminika und/oder Kortikoide (systemisch oder topisch), bei 6 Patienten auch homöopathisch.
Der Baseline-MP-Score (Mittelwert aus den Wochen -4 und 0) lag in der Placebogruppe mit 45,9 ± 7,6 deutlich unter der Verumgruppe mit 54,5 ± 11,0 (p = 0,034, t-Test). In beiden Therapiegruppen war der Großteil der Patienten von einem schweren Ekzem betroffen: 9/14 Placebopatienten (64 %) und 8/10 Verumpatienten (80 %) hatten einen MP-Score > 40. Zu Woche 0 erhöhten sich diese Zahlen auf 10/14 (71 %) und 10/10 (100 %).
Auch nach ADASI- und SCORAD-Gesamtscore war die Verumgruppe durchschnittlich von einem schwereren atopischen Ekzem betroffen als die Placebogruppe, wobei diese Unterschiede nicht statistisch signifikant waren (p = 0,21 bzw. p = 0,18).
Behandlung
Im Laufe der 32-wöchigen Behandlungsphase kam es in der Verumgruppe zu 6,9 ± 5,1 Kontakten von Prüfarzt und Patient, in der Placebogruppe zu 7,2 ± 4,6 Kontakten. Als erste homöopathische Arznei wurden am häufigsten Lycopodium und Staphysagria verschrieben, daneben 12 weitere Mittel. Die Sicherheit bei der Erstverschreibung (Skala von 0 - 10) lag in der Placebogruppe mit 7,3 ± 1,3 etwas höher als in der Verumgruppe mit 6,6 ± 1,5. Infolge dessen kam es in der Verumgruppe etwas häufiger zu einem Wechsel des Arzneimittels (Verum: 7 Patienten = 70 %, Placebo: 7 Patienten = 50 %). Das insgesamt am häufigsten verschriebene Arzneimittel war Lycopodium, gefolgt von Natrium muriaticum, Staphysagria und Sepia.
Im Vergleich von Baselinephase und Evaluationsphase verringerte sich der Verbrauch von Pflegemitteln in der Verumgruppe um 53 ± 55 g auf 222 ± 116 g und in der Placebogruppe um 45 ± 307 g auf 278 ± 285 g.
Schweregrad des atopischen Ekzems
In beiden Therapiegruppen nahm die Schwere der Erkrankung im Laufe der Studie nahezu in identischem Maße ab. 32 Wochen nach Therapie lag der MP-Score in der Placebogruppe bei 32,7 ± 21,8 (n = 12 Patienten) und in der Verumgruppe bei 40,7 ± 12,5 (n = 8 Patienten). Die gemäß ANCOVA geschätzte durchschnittliche Verbesserung war damit in der Verumgruppe um 5,9 Punkte (CI: -10,3 bis 22,1 Punkte) leicht, aber statistisch nicht signifikant (p = 0,49) höher als in der Placebogruppe. Nach Ersetzen der fehlenden Werte ergab sich ein leichter, statistisch ebenfalls nicht signifikanter Vorteil für die Placebogruppe, der Gruppenunterschied betrug hier -5,6 Punkte (CI: -20,2 bis 9,0; p = 0,46; ANCOVA).
Die alternativ eingesetzten Fragebögen zur Messung der Schwere der Erkrankung lieferten vergleichbare Ergebnisse.
Krankheitsverarbeitung, Lebensqualität
Die sekundären Zielparameter veränderten sich in beiden Gruppen nur gering. Weder bei der Befindlichkeit noch bei der Krankheitsverarbeitung oder der Lebenszufriedenheit waren signifikante Gruppenunterschiede zu beobachten (alle p > 0,15).
In beiden Gruppen waren 6 Patienten gemäß FLZ mit ihrem Leben ziemlich oder sehr zufrieden (43 bzw. 60 %), damit verbesserte sich die Lebenszufriedenheit bei jeweils 4 Patienten (29 bzw. 40 %) und verschlechterte sich bei lediglich 1 Patienten aus der Placebogruppe (7 %).
Das Gesamt-IgE fiel in der Verumgruppe von medianen 900 auf 802 U/ml, während es in der Placebogruppe von 962 auf 1180 U/ml anstieg (p > 0,2).
Globalurteile
Sowohl die Patienten als auch der behandelnde Arzt beurteilten die Therapieerfolge der Placebobehandlung tendenziell etwas besser als die der Verumbehandlung. In keinem der betrachteten Globalurteile waren die Gruppenunterschiede statistisch signifikant.
Sicherheit
Insgesamt wurden 14 unerwünschte Ereignisse (8 Placebo, 6 Verum) bei 9 Patienten (5 Verum, 4 Placebo) dokumentiert. In der Placebogruppe handelt es sich dabei um jeweils einen Fall von Herpes simplex, grippalem Infekt, Appendizitis, Lymphangitis, Zystitis, bakterielle Superinfektion der Kopfhaut und Husten/Schnupfen. In der Verumgruppe wurden Herpes simplex (2 x), grippaler Infekt (2 x), Husten und eine akute Tonsillitis dokumentiert. Alle Patienten erholten sich vollständig.
Ein Ereignis wurde als schwer klassifiziert: die operationsbedürftige Appendizitis aus der Placebogruppe.
Bei einem Ereignis in der Placebogruppe (Husten/Schnupfen) und zwei Ereignissen in der Verumgruppe (Husten und Herpes simplex) wurde ein kausaler Zusammenhang mit der Studienmedikation vermutet.
Diskussion
In dieser Studie konnte nicht belegt werden, dass klassisch homöopathisch verordnete Arzneimittel bei Patienten mit atopischem Ekzem eine über eine Placebowirkung hinausgehende Wirksamkeit entfalten. Weder im Hauptzielparameter noch in den sekundären Wirksamkeitskriterien ergaben sich Hinweise auf eine spezifische Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung.
Trotz dieses eindeutig negativen Ergebnisses ist eine Interpretation schwierig. Zum einen konnten nur wenige Patienten in die Studie aufgenommen werden, sodass die statistische Power der Studie nur gering ist: Mit einer Fallzahl von 24 Patienten lässt sich eine mittlere Effektstärke von 0,4 nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 16 % nachweisen, selbst ein großer Effekt von 1,0 wird nur mit 65 %iger Wahrscheinlichkeit entdeckt. Damit ist nicht auszuschließen, dass in dieser Studie ein tatsächlich vorhandener Therapieeffekt übersehen wurde. Hinzu kommt, dass ein relativ hoher Anteil an Patienten die Studie vorzeitig abbrach, meist wegen akuter Verschlimmerung oder Nicht-Wirksamkeit der Therapie. Da die daraus fehlenden Werte über die Last-observation-carried-forward-Methode ersetzt wurden, führt dieses allein aus technischen Gründen zu einer weitgehenden Angleichung der Ergebnisse.
Zum anderen ist die Studie aus mehreren Gründen nur begrenzt generalisierbar: (1) Nicht einmal jeder 20. zunächst untersuchte Patient wurde tatsächlich in die Studie eingeschlossen. (2) Die behandelten Patienten waren fast ausschließlich von einer schweren, seit vielen Jahren bestehenden Erkrankung betroffen, die eigentlich einer intensiven klassisch dermatologischen, eventuell sogar stationären Behandlung bedurft hätte. (3) Es wurden nur Patienten eingeschlossen, die bereit waren, ein Dreivierteljahr lang auf wirksame medikamentöse Behandlungen zu verzichten, auch bei akuten Exazerbationen. Die bei der Studienplanung favorisierte Idee, möglichst homogene Behandlungsgruppen zu schaffen, in denen der Therapieerfolg nicht von wirksamen Begleitbehandlungen überlagert wird, ist im Nachhinein sicherlich als kontraproduktiv zu bewerten.
Eine homöopathische Behandlung erfordert vom therapierenden Arzt besondere Fähigkeiten (z. B. Anamnesetechnik) sowie umfassende und tiefgreifende Kenntnisse hinsichtlich der im jeweiligen Fall zu wählenden homöopathischen Arzneimittel bzw. der Beurteilung ihrer Wirkungen. Es ist daher möglich, dass die Negativergebnisse dieser Studie auf mangelnde Kenntnisse des homöopathischen Arztes zurückzuführen sind. Ein Indiz hierfür mag sein, dass sich der Studienarzt bei der Wahl der homöopathischen Arzneimittel durchaus unsicher war, in der Verumgruppe allerdings etwas sicherer als in der Placebogruppe. Da der Studienarzt aber eine langjährige, lückenlose Aus- und Fortbildung vorweisen konnte und außerdem von einer erfahrenen Ärztin supervidiert wurde, halten wir diese Erklärung für unwahrscheinlich.
Ein anderer, ebenfalls hypothetischer Grund für die Negativergebnisse in dieser Studie könnte in typischen Doppelblindeffekten begründet sein, wie sie vor allem für Studien zur Wirksamkeit der klassischen Homöopathie beschrieben wurden (25 - 27): Aufgrund der Placebokontrolle und der doppelten Verblindung wird das Arzt-Patienten-Verhältnis als gestört angesehen, da es von einer großen Unsicherheit bzw. von Misstrauen des Patienten überlagert wird. Infolge dessen könnten für die Arzneimittelfindung wesentliche Symptome unangesprochen bleiben, weil dem Patienten das erforderliche Vertrauen in den behandelnden Studienarzt fehlt. Zudem wird der behandelnde Arzt im Laufe der Studie zunehmend verunsichert, da er während der Verlaufskontrolle etwaige Veränderungen beim Patienten (bzw. das Ausbleiben solcher) nicht mehr eindeutig innerhalb seines eigenen, homöopathischen Bewertungssystems interpretieren kann. Diese Verunsicherung betrifft nicht nur placebo-, sondern auch verumbehandelte Patienten und könnte so etwaige Therapieeffekte verschleiern.
Schließlich war vor Behandlungsbeginn die Verumgruppe insgesamt stärker von der Erkrankung betroffen, was sich nicht nur im höheren Baselinewert des MP-Scores, sondern auch im höheren Erkrankungsalter, in der etwas höheren Rate an stationären Aufenthalten in den vorangegangenen 5 Jahren sowie dem früheren Erkrankungsbeginn zeigte. Daraus ließe sich aus medizinischer Sicht in der Verumgruppe ein verzögerter und schwieriger Heilungsverlauf erklären, nicht jedoch die deutliche Besserung der Placebogruppe (unter Verzicht auf jegliche schulmedizinische Therapie).
In beiden Gruppen war die Erwartungshaltung vergleichbar und realistisch. Die meisten Patienten nahmen stark motiviert an der Studie teil, da sie es vorzogen, mit „natürlichen Methoden“ behandelt zu werden und auf konventionelle Medikamente weitgehend zu verzichten. Sie stellten sich auf einen langsamen Heilungsprozess ein, wenn auch jeweils 7 Patienten aus beiden Gruppen eine vollständige Genesung erwarteten.
Die Ergebnisse dieser Studie stimmen mit den Beobachtungen von Fisher et al. (28) überein, die in einer kleinen (N = 27), randomisierten Therapiestudie zu verschiedenen Dermatitiden nach 12-wöchiger Behandlung keine Unterschiede zwischen der homöopathischen Einzelmittelbehandlung und einer Placebobehandlung gefunden hatten. Hier wurde die homöopathische Behandlung allerdings zusätzlich zu einer konventionellen Standardtherapie gegeben. Keil et al. (29) zeigten in einer nicht randomisierten Studie, dass sich eine homöopathische Einzelmittelbehandlung bei Kindern mit atopischem Ekzem hinsichtlich Beschwerdestärke und Lebensqualität nicht von einer schulmedizinischen Standardbehandlung unterscheidet.
In der vorliegenden Studie besserten sich die Patienten in der Verumgruppe im MP-Score um einen standardisierten Effekt (mittlere Veränderung dividiert durch Standardabweichung zu Baseline) von d = 0,65. Dies entspricht in etwa den Ergebnissen, die Keil et al. (29) mit d = 0,56 nach einer 12-monatigen und Fisher et al. (28) mit d = 0,54 nach einer 12-wöchigen Behandlung gefunden haben, ist aber deutlich kleiner als der Effekt von d = 1,81 in der unkontrollierten Beobachtungsstudie von Witt et al. (30). Auch Itamura et al. (31, 32) berichten von außergewöhnlich großen Effekten nach einer Homöopathiebehandlung: > 85 % aller Ekzempatienten erfahren eine Besserung von > 50 %.
Ob es einen spezifischen Wirkungsweg homöopathischer Arzneimittel gibt, ist wissenschaftlich umstritten. In Anlehnung an die Formelsprache der Quantenphysik haben Walach (33) und Milgrom (34) die Hypothese aufgestellt, die Wirkung könnte über eine „Verschränkung“ von Arzt, Patient und Arznei vermittelt werden. Träfe dies zu, wären randomisierte Doppelblindstudien mit ihrem auf Kausalität basierenden Verständnis kein geeignetes Instrument für die Evaluation der Homöopathie, da deren Wirkung ein nicht lokales Phänomen zugrunde läge. Empirische Belege für diese Theorie gibt es nicht. Sie könnte allerdings eine alternative Erklärung dafür bieten, warum Metaanalysen zur Homöopathie insgesamt (35) oder zur klassischen Homöopathie im Besonderen (36) zu negativen Ergebnissen kommen. Letztgenannte Analysen sind allerdings auch nicht eindeutig: Variiert man die Ein- und Ausschlusskritierien in diesen Metaanalysen nur geringfügig, so ändern sich die Ergebnisse dramatisch, sowohl für Studien zur klassischen Homöopathie (37) als auch für die Gesamtheit aller Homöopathiestudien (38).
Zusammenfassung
Hintergrund
Zur Wirksamkeit der Homöopathie bei atopischem Ekzem (atopische Dermatitis, Neurodermitis constitutionalis atopica) liegen zwar eine Reihe von Kasuistiken, aber keine kontrollierten Therapiestudien vor.
Methoden
Monozentrische, randomisierte Doppelblindstudie, in der individuell verordnete homöopathische Arzneien mit Placebo verglichen wurden. Eingeschlossen wurden junge Erwachsene im Alter von 18 - 35 Jahren mit atopischem Ekzem. Nach einer unbehandelten Eingangsperiode von 4 Wochen wurden alle Patienten 32 Wochen lang behandelt und beobachtet. Als Begleitmedikation waren nur indifferente Salben zugelassen. Hauptzielkriterium war der Multiparameter-Score (MP-Score) von Costa und Saurat.
Ergebnisse
Von 744 gescreenten Patienten wurden 24 randomisiert und analysiert (10 Verum, 14 Placebo). Beide Gruppen waren zu Therapiebeginn vergleichbar, die Verumgruppe war allerdings signifikant schwerer erkrankt (p = 0,034, t-Test). 10 Patienten (5 je Gruppe) brachen die Studie vorzeitig ab, vor allem wegen Nicht-Wirksamkeit der Therapie und notwendiger Begleitbehandlungen. In beiden Gruppen fiel der MP-Score deutlich: in der Verumgruppe von 54,5 ± 11,0 auf 40,7 ± 12,5, in der Placebogruppe von 45,9 ± 7,6 auf 32,7 ± 21,8, was in einem leichten, nicht signifikanten Gruppenunterschied von 5,6 Punkten zugunsten der Placebogruppe mündete (Cl: -9,0 bis 20,2; p = 0,46; ANCOVA). In den sekundären Zielparametern (Lebensqualität, Krankheitsverarbeitung, allgemeine Einschätzung des Therapieerfolgs) ergaben sich ebenfalls keine signifikanten Gruppenunterschiede (jeweils p > 0,15).
Schlussfolgerungen
Individualisierte homöopathische Arzneien hatten in dieser Studie zum atopischen Ekzem keinen über Placebo hinausgehenden Effekt. Die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ist aufgrund der geringen Fallzahlen und des hohen Prozentsatzes nicht eingeschlossener Patienten eingeschränkt.
Wirksamkeit einer klassisch-homöopathischen Therapie bei atopischem Ekzem
Eine randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudie
Joachim Siebenwirth – Private Praxis, Wolfratshausen
Rainer Lüdtke – Karl und Veronica Carstens-Stiftung, Essen
Wolfgang Remy, Jürgen Rakoski, Siegfried Borelli, Johannes Ring – Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein, Technische Universität München, Deutschland
Dank
Wir bedanken uns bei der Deutschen Homöopathie-Union (DHU) für die Bereitstellung der Studienmedikation, bei der von Mendel'schen Apotheke (vor allem Frau Ottl) in München für die Verteilung der Studienmedikation entsprechend der Randomisationsliste, Frau I. Fahrnow für die Unterstützung und Supervision des Studienarztes, der Karl und Veronica Carstens-Stiftung für die Förderung der Studie, Herrn Prof. K. Ulm, Technische Universität München, für die statistische Planung und Beratung, und vor allem bei allen teilnehmenden Patientinnen und Patienten.
Quelle:
Forschende Komplementärmedizin und klassische Naturheilkunde, Ausgabe Nr. 5/2009 vom 31.10.09; Seite: 315 - 323
Literatur
Den sehr umfangreichen Literaturnachweis kann die hautsache-Redaktion leider nicht liefern. Interessierte können diese aber bei der „Quelle“ anfordern.