17. Eppendorfer Dialog
Das System aus Richtlinienkompetenz und Qualitätssicherung rund um den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) ist in den vergangenen Jahren transparenter aber auch deutlich komplexer geworden. Beim 17. Eppendorfer Dialog zur Gesundheitspolitik räumt G-BA-Vorsitzender Josef Hecken in Bezug auf die Arzneimittelversorgung ein, dass das regulatorische Umfeld sehr kleinteilig geworden ist. Durch das AMNOG habe man in Deutschland ein modernes Verfahren, das Innovationen den Zugang zum Markt ab dem ersten Tag der Zulassung ermögliche, und das zumindest über ein Jahr zu den Preisvorstellungen der Hersteller. Die Vielzahl und Komplexität von Richtlinien mache es jedoch immer diffiziler und langwieriger, echte Innovationen vor Scheininnovationen zu schützen. Der G-BA sei verpflichtet, so Hecken, den größtmöglichen Nutzen für Patienten als oberste Maxime zu sehen. Man nehme losgelöst von gesundheitsöko-nomischen Überlegungen eine reine Mehrwertbetrachtung im Sinne einer Verbesserung zur Standardtherapie vor. Oft jedoch stimmten Heilsversprechen nicht mit den Evidenz-Untersuchungen überein. Prof. Hecken betont, dass das AMNOG weiterentwickelt werden muss. Aufgrund der Zulassungskriterien und des damit verbundenen hohen Herstellerrisikos gäbe es zu wenige Zulassungen für Kinder. Im wichtigen Bereich der Volkskrankheiten wie z. B. Diabetes gäbe es kaum Evidenz, was der Grund für zu wenig Forschung sei. Auch müssen die AMNOG-Richtlinien in Bezug auf die Forschung an bewährten Wirkstoffen weiterentwickelt werden.
Denn während für Wirkstoffinnovationen der Zulassungsprozess sinnhaft ist, steht die Forschung an bewährten Wirkstoffen für neue Indikationsbereiche vor großen Systemhürden. Das veranschaulicht die Molekularbiologin Dr. Michaela Gorath (Projektmanagement G. Pohl-Boskamp GmbH & Co. KG) am Beispiel des Wirkstoffs Nitroglycerin, für den es neben der Angina pectoris weitere medizinisch interessante Anwendungsbereiche gibt wie etwa bei den Tendinopathien. Frau Dr. Gorath kritisiert vor allem den nicht existierenden Unterlagenschutz, sofern das forschende Unternehmen bereits ein zugelassenes Präparat mit dem Wirkstoff hat, wodurch sich Forschung und Entwicklung nicht refinanzieren lassen. Sie fordert auch für bewährte Wirkstoffe einen zehnjährigen Unterlagenschutz für Neuzulassungen zum Schutz vor generischen Herstellern. Eine weitere Hürde sind die Pädiatrieverordnung, die für bewährte Wirkstoffe keinen Bonus vorsieht, und die Arzneimittel-Richtlinie, mit der der G-BA in vielen Indikationsgebieten die Verordnung auch von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln einschränkt oder ganz ausschließt. Das alles führt dazu, so Dr. Gorath, dass wichtige Innovationsbereiche unerforscht bleiben.
Rückendeckung bekommt diese Position vom Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Medizinrecht, dem Anwalt und Allgemeinmediziner Prof. Christian Dierks. Er proklamiert ebenfalls, dass die aktuellen Rahmenbedingungen keine Anreize für bekannte Wirkstoffe setzen. Grundsätzlich wäre das auch nicht eine Aufgabe des AMNOG, das das System vor einer Überschwemmung durch neue Wirkstoffe schützen soll. Da aber alle Innovationen über die AMNOG-Vorgaben geprüft werden, bestehe das Risiko, dass gute bekannte Wirkstoffe aus dem Markt gekickt werden. Für Dierks ist der G-BA noch zu schwerfällig in der Anpassung an die aktuelle Versorgungsrealität. Für bewährte und damit bereits als sicher erachtete Wirkstoffe sollte die Arzneimittel-Richtlinie so angepasst werden, dass Forschung und Entwicklung attraktiv bleiben.
Annette Widmann-Mauz, Parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Gesundheit, stimmt den Anliegen der pharmazeutischen Industrie insofern zu, dass keine sinnvolle Weiterentwicklung behindert werden darf. Grundsätzlich habe man mit den gesetzlichen Regelungen der letzten Jahre die Weichen richtig gestellt, müsse sich aber natürlich immer wieder Anregungen und Veränderungen stellen. Das BMG setzt sich für gute Rahmenbedingungen für Forschung und Entwicklung in Deutschland ein. In 2014 ist der Etat um 25 Prozent (32 Mio. Euro) erhöht worden. Deutschland muss – so Widmann-Mauz – als Pharmastandort attraktiv bleiben. Daher führe man den Pharmadialog mit der Industrie, und das insbesondere im wichtigen Bereich der Pharmakotherapie. Es gelte, Versorgungsengpässe und Abhängigkeiten von anderen Ländern zu vermeiden und sich mit gravierenden Problemen wie den Auswirkungen der Antibiotikaresistenzen intensiv auseinanderzusetzen. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe das Thema auf die Agenda des G-7-Gipfels gestellt, was die Dringlichkeit und Wichtigkeit zeige.
Haben wir genügend gelernt, um Barrieren in der Patientenversorgung zu überwinden – das war die spannende Frage des 17. Eppendorfer Dialogs. Prof. Augustin zieht das Fazit: Man hat nie genug gelernt, und somit ist es begrüßenswert, dass die Entscheider anerkennen, dass das Gesundheitssystem dynamisch bleiben und man sich Veränderungen stellen muss.
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE)
Institut für Versorgungsforschung in der Dermatologie und bei Pflegeberufen (IVDP)
Direktor: Prof. Dr. med. Matthias Augustin
Martinistraße 52
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