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„Patientenbeteiligung hat hervorragende Effekte“

„Shared Decision Making“ lautet der Name eines wissenschaftlichen Konzeptes, das zu mehr Mitsprache für Patientinnen und Patienten führen soll - wir haben mit einem Arzt gesprochen, der dieses Konzept in Deutschland umsetzen will.

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Viele Patientinnen und Patienten fühlen sich überfordert, oft auch übergangen, wenn es darum geht, eine Entscheidung zu einer Operation oder Therapie zu treffen. Der Arzt und Unternehmer PD Dr. Jens Ulrich Rüffer möchte das ändern. Er verfolgt ein wissenschaftliches Konzept, das dabei helfen soll, Patientinnen und Patienten in die Behandlung einzubeziehen: „Shared Decision Making“, kurz: SDM. Wir haben mit ihm über dieses Programm und seine Umsetzung gesprochen.

Sie haben gemeinsam mit dem Uniklinikum Kiel und der Techniker Krankenkasse ein Pilotprojekt zu „Shared Decision Making“ (SDM) umgesetzt. Was genau ist SDM?

PD Dr. Jens Ulrich Rüffer: „Shared Decision Making“, also gemeinsame Entscheidungsfindung, bedeutet: Arzt/Ärztin und Patientin/Patient entscheiden zusammen über eine Therapie oder einen diagnostischen Vorgang. Die Patientin bzw der Patient weiß genau, worum es bei der Entscheidung geht - und die Ärztin bzw der Arzt weiß, welche Präferenzen die Patientin bzw der Patient hat. Auf dieser Basis kommt es zu einer Entscheidung, die beide mittragen. Dadurch, so das Konzept, sind die Patienten zufriedener und ihre Adhärenz (Einhaltung, der gemeinsam von Patienten und dem Fachpersonal gesetzten Therapieziele während der Behandlung. Anm d. Red.). wird größer - sie halten sich also an den gemeinsam festgelegten Behandlungsplan.

Eigentlich sollte man denken, das sei eine Selbstverständlichkeit.

Rüffer: Man muss ganz deutlich sagen: In Deutschland ist eine solche gemeinsame Entscheidungsfindung leider nicht üblich - das zeigen viele Untersuchungen. Es gibt eine relativ neue Studie, für die nahezu 100 Gespräche zwischen Ärztinnen und Ärzten und Patientinnen und Patienten aufgenommen und analysiert wurden. Die Ergebnisse waren verheerend. Höchstens 10 Prozent der Gespräche trugen Merkmale eines Shared-Decision-Making-Prozesses - und das, obwohl die Ärztinnen bzw Ärzte ja wussten, dass alles aufgezeichnet wird. Viele Kollegen glauben, sie würden die Patientinnen und Patienten einbeziehen, denn sonst käme ja Widerspruch - aber viele Patientinnen und Patienten trauen sich nicht, ein wirkliches Feedback zu geben oder gar zu widersprechen.

Wie kam es dann zu Ihrem SDM-Pilotprojekt?

Rüffer: Ich habe an der Uniklinik in Köln zehn Jahre lang als Onkologe nach dem Prinzip SDM gearbeitet und habe mich gefragt, ob man das nicht bundesweit anwenden könnte. Alle Untersuchungen zu SDM zeigten wirklich gute Effekte, aber trotzdem gab und gibt es praktisch kein System, das SDM vollständig implementiert hat. Dann entstand die Idee, dass man das am ehesten herstellen kann, wenn man ein gesamtes System auf SDM umstellt. Ob das gelingt, konnten wir dann im Rahmen eines G-BA Innovationsfonds-Projektes testen. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat das Projekt an der Uniklinik Kiel gefördert.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Rüffer: Wir haben mit wenigen Ausnahmen die gesamte Uni-Klinik, von der Augenklinik bis zur Zahnklinik, komplett auf das SDM-Prinzip umgestellt. Dabei zeigte sich: Es ist machbar. Die Patientinnen und Patienten sind hinterher besser informiert über ihr Krankheitsgeschehen und die Therapiemöglichkeiten - und sie sind auch zufriedener mit der Behandlung.

Aber kostet die Anwendung von SDM nicht enorm viel Zeit?

Rüffer: Das ist ein spannender Aspekt. Wir haben die Zeiten gemessen, die Ärztinnen und Ärzte für die Aufklärung brauchen. Vor dem SDM-Training waren es im Mittel 20 Minuten, während des Trainings dauerte ein Aufklärungsgespräch dann 22 Minuten und nach dem Training nur noch 18 Minuten. Das heißt: Die Patientinnen und Patienten sind in kürzerer Zeit deutlich besser informiert.

Wie sieht dieses Training aus, das die Ärzte bzw. Ärztinnen absolvieren?

Rüffer: Es besteht aus drei Einheiten: Zunächst erhalten die Kolleginnen oder Kollegen ein einstündiges Online-Training mit grundsätzlichen Informationen. Im nächsten Schritt nehmen sie ein Arzt-Patientengespräch auf, das sie ohnehin führen würden - mit dem Unterschied, dass wir zuvor ein paar technische Vorgaben dazu machen. Das Gespräch wird dann von uns im Hinblick darauf analysiert, wie gut SDM hier bereits funktioniert. Zentraler Punkt des Trainings ist dann eine 90-minütige Präsenz-Session, bei der bis zu fünf Kolleginnen bzw. Kollegen und eine Trainerin zusammenkommen und gemeinsam die einzelnen Videos analysieren. Es gibt also ein Feedback dazu, wie das Patientengespräch gelaufen ist und was vielleicht noch verändert werden sollte. Das Ganze wird dann einmal wiederholt. Es sind also insgesamt rund vier Stunden, die dieses Training in Anspruch nimmt.

Was genau vermitteln Sie bei dem Training? Wie sieht das ideale Arzt-Patientengespräch aus?

Rüffer: Das SDM-Training sieht mehrere Schritte vor: Zunächst wird der Patientein bzw dem Patient nochmal ganz genau erklärt, warum sie/er hier ist. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Patientinnen und Patienten in Arztgesprächen gar nicht richtig mitkriegen, dass eine therapeutische Entscheidung getroffen wird. Das Gespräch könnte also so beginnen: „Wir haben alle Befunde zusammen, heute wollen wir überlegen, welche weitere Diagnostik wir noch machen müssen oder welche Therapie wir jetzt zusammen beginnen wollen.“ Dann werden noch einmal die medizinischen Zusammenhänge erklärt, es werden die Ängste und Sorgen der Patientin bzw des Patienten angesprochen, ihre/seine Präferenzen abgefragt. Abschließend werden die Therapieoptionen dargestellt mitsamt den Vor- und Nachteilen, die für diese Patientin bzw für diesen Patient besonders relevant sind. Im besten Falle trifft man danach eine gemeinsame Therapieentscheidung und bespricht, wie sie umgesetzt wird.

Ist das überhaupt sinnvoll? Die medizinische Fachkraft sollte sich mit Krankheiten doch besser auskennen als die Patientinnen und Patienten.

Rüffer: Darum allein geht es nicht. Es gibt Kollegen, die begrüßen eine Patientin bzw einen Patient mit Lymphknotenkrebs mit den Worten: „Na, da haben Sie aber nochmal Glück gehabt.“ Für die Patientin bzw den Patient ist aber gerade die Welt zusammengebrochen, auch wenn sich ihr/sein Krebs gut behandeln lässt. Das heißt: Die Patientinnen bzw die Patienten nehmen die Schwere ihrer Erkrankung ganz anders wahr als die Ärzte. Selbst Menschen, die nur eine geringe Krankheitsbelastung haben, können große Angst entwickeln. Für sie ist eine gemeinsame Entscheidungsfindung genauso wichtig wie für jemanden, der eine chronische Erkrankung in Schüben hat oder für jemanden mit einer sehr ernsten, bedrohlichen Erkrankung.

Weshalb ist es nicht so einfach, eine Verhaltensänderung hinzubekommen? Patientinnen und Patienten einbeziehen

Rüffer: Die Chirurgen zum Beispiel haben in Kiel zu Beginn statt SDM nur SMD gesagt – Share My Decision. Das war lustig gemeint, aber bei einer Nachbefragung stellte sich heraus: Sie waren zunächst äußerst skeptisch. Allerdings fanden sie das Training dann richtig gut und spannend. Hinterher erklärten sie, dass sie heute viel besser in der Lage seien, gemeinsam mit den Patientinnen bzw mit den Patienten eine Entscheidung zu treffen - manchmal auch für eine Therapie, die sie initial gar nicht präferiert hätten. Im Rückblick gesehen habe das SDM-Training ihre Kompetenzen erweitert. Ich persönlich glaube übrigens, dass SDM auch im Zuge des medizinischen Fortschritts immer wichtiger wird.

Weshalb?

Rüffer: Weil viele Behandlungen immer komplexer und teurer werden. Deshalb geht es auch darum, die Patienten und ihre Ängste einzubeziehen. Nur so erhöhen wir mittelfristig die Gesundheitskompetenz und erreichen ein besseres, kooperatives Verhalten von allen Beteiligten.

hautsache Tipp: Informieren Sie doch Ihre Praxis einfach mal über diese Möglichkeit eines SDM Trainings, wenn Sie der Meinung sind, dass die Kommunikation zwischen Fachpersonal und Ihnen als chronisch hautkranken Menschen nicht so richtig gut funktioniert. Vielleicht erspart das auch einmal den ständigen Praxiswechsel.

Quelle: Pharma Fakten

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