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Klimatherapie Nordsee

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Die hautsache-Redaktion sucht regelmäßig das Gespräch mit niedergelassenen Dermatologinnen und Dermatologen oder Fachärztinnen und Fachärzten anderer Fachbereiche, um Neurodermitis Betroffene über Behandler, ihr Neurodermitis-Verständnis, ihre Behandlungsschwerpunkte etc. grundlegend zu informieren.
Heute Dr. med. Sibylle Scheewe, Kinder- und Jugendärztin, Allergologie-Kinderpneumologie-NHV-Akupunktur-Diabetologe DDG, Westerland/Sylt, im Gespräch mit Dipl.-Psych. Sonja Dargatz.

hautsache: Hallo Frau Dr. Scheewe, wir freuen uns sehr, im Rahmen dieses Interviews mit Ihnen über Neurodermitis-Betroffenheit bei Kindern und Jugendlichen und stationäre Behandlungsmöglichkeiten an der Nordsee sprechen zu können.
Sie sind als Oberärztin in der Fachklinik Sylt tätig. Jährlich werden in dieser Rehabilitationseinrichtung etwa 2000 Kinder und Jugendliche stationär behandelt, die an chronischen Erkrankungen der Haut, der Atemwege und des Stoffwechsels leiden. Nach welchem Behandlungskonzept werden Kinder und Jugendlichen bei Ihnen behandelt, die an Neurodermitis erkrankt sind?

Scheewe: In den vier Wochen der Reha wird im Aufnahmegespräch mit den Kindern (bei jüngeren unter neun Jahren auch gemeinsam mit den begleitenden Eltern) und den Jugendlichen das mitgebrachte Ziel für die Reha besprochen, auch das Ziel, was der einweisende Arzt ins Gutachten geschrieben hat. Es ist uns wichtig, dass von Anfang an gemeinsam an diesem Ziel gearbeitet wird. Bezogen auf die Neurodermitis können das folgende Ziele sein: das Kind soll sich eincremen lernen, der Juckreiz soll minimiert werden, wir wollen herausfinden, warum die Schübe auftreten, wir möchten Tipps und Tricks bei Juckreiz, Therapieoptimierung  und manche spezielleren Ziele, z.B. langsam das orale Ciclosporin heruntersetzen, etc. Der Reha-Arzt legt dann gemeinsam mit den Patienten die Behandlungsbausteine fest, die zusätzlich zu den vorgeschriebenen Elementen (Hautpflege, AGNES-Schulung, Entspannung, Sport, Schwimmen, Meerwasserbäder) zur Zielerreichung sinnvoll sind. Die stadiengerechte Hauttherapie und die verhaltenspsychologische Komponente spielen eine wesentliche Rolle. In den wöchentlichen Zwischenuntersuchungen, bei schwerbetroffenen auch häufiger, werden die Therapieverläufe begutachtet und mit den Patienten abgestimmt, um sie in ihren Zielen zu unterstützen.

hautsache: Sie sind bereits viele Jahre im Gesundheitswesen tätig. Wie haben sich in dieser Zeit die Behandlungsmöglichkeiten für von Neurodermitis betroffene Kinder und Jugendliche verändert?

Scheewe: Die ambulanten Möglichkeiten der Behandlung haben sich insofern verbessert, da inzwischen viele niedergelassene Haut- und Kinderärzte die Patientenschulung selbst durchführen bzw. darin geschult sind und damit ein umfassenderes Herangehen an die Problematik etabliert haben. Die Basistherapie ist aber leider immer noch nicht Kassenleistung in dem Umfang wie sie es sein sollte, z.B. erhalten Jugendliche ab 12 Jahre keine Basistherapeutika auf Rezept und die verschreibungsfähigen Rezepturen, z.B. DAC Basiscreme ist nicht für jede Haut geeignet. Es werden z.T. über Rezepturen in guten Fertigpräparaten Stoffe verordnet, die für die Dauertherapie ungeeignet sind, z.B. Triclosan als Dauertherapie. Da wünscht man sich doch mehr Flexibilität, da wir viele Ekzemschübe durch eine gute, angenehme und geeignete Basistherapie verhindern könnten und damit auch teurere Medikamente einsparen würden. Ganz abgesehen von der besseren Lebensqualität ohne Ekzemschübe.
Wie Sie es schon ansprachen, befasse ich mich seit 1983 mit Kindern und Jugendlichen mit Neurodermitis, habe inzwischen die 2. Elterngeneration in Therapiegesprächen vor mir sitzen und sehe eine rationalere Herangehensweise der Eltern von heute, die wissen, wie sie nebenwirkungsarm mit den Cortison Cremes und Calcineurin-Inhibitoren umgehen können, welche sinnvollen Bausteine noch dazu gehören, um den Juckreiz zu lindern und wie man Nahrungsmittelelimination - oder Toleranzentwicklung - durchführt, ein Verdienst der strukturierten Schulungen, die in ihrer Wirksamkeit 1996 entwickelt und erforscht wurden. Wir haben in der Fachklinik Sylt gemeinsam mit Professor Petermann der Universität Bremen schon 1990 ein Programm für Jugendliche evaluiert, weil wir bei  Kindern, die  aus der gesamten Republik zu uns kamen,  gesehen haben, wie diffus die Behandlungskonzepte waren. Diese waren sowohl in der hochschulwissenschaftlichen Medizin ("Schulmedizin") als auch in der Komplementärmedizin manchmal nicht gut an das Ziel des Patienten adaptiert. Es gab Grabenkämpfe zwischen den Fachrichtungen. Heute ist man mit der integrativen Medizin, die sinnvolle Elemente aus verschiedenen Systemen einsetzt, weiter. Eltern von heute sind gut informiert, brauchen aber die pflegerische, psychologische, pädagogische und ärztliche Unterstützung, um das Erlernte auf die Bedürfnisse ihres Kindes anzupassen.

hautsache: Einer der Behandlungsschwerpunkte der Fachklinik für an Neurodermitis erkrankte Kinder und Jugendliche ist die Klimatherapie, die eine innere und äußere Heilung bewirken soll. Was genau bedeutet das?

Scheewe: Klimatherapie ist ein wichtiges Element der Neurodermitistherapie. Untersuchungen (Eggert et al 2001; Stick et al, 2000; Stick 2002) haben ergeben, dass eine Cortisolausschüttung und eine Endorphin-Ausschüttung im Körper passiert, wenn man sich in Meeressaum-Nähe aufhält. Das Meeres-Aerosol befeuchtet die Haut und das Salz in der Luft wirkt antiseptisch und entzündungsmindernd. Deshalb sind Salzbäder kombiniert mit UV-Bestrahlung ja auch in der Psoriasistherapie etabliert (sogenannte Balneo-Phototherapie). Durch die reine Luft bei Westwinden, die wir zu 90% auf Sylt haben, kommt fast ausschließlich allergenarme Luft zur Haut, d.h. Pollenallergiker profitieren durch eine geringere Sensibilisierung über die Haut. Die entzündungsmindernde UV-Strahlung ist bei reiner Luft ebenfalls stärker als in der Stadt, allerdings muss auch ein guter jahreszeitlich abgestufter Sonnenschutz praktiziert werden und die Länge der Zeit angepasst werden. Der Blick auf den Horizont hat, wie wir alle wissen, eine beruhigende Wirkung aufs Gemüt und trägt zur Entspannung - gerade im manchmal angestrengten Eltern-Kind-Verhältnis - bei.

hautsache: In wieweit konnte die Klimatherapie bei Kindern und Jugendlichen, die an Neurodermitis leiden, bisher wissenschaftlich mit Studien bestätigt werden? Welche Befunde gibt es?

Scheewe: (Wissenschaftliche Ergebnisse) Die Studiendesigns klimatherapeutischer Studien (s.o.), drei davon in unserer Fachklinik Sylt durchgeführt,  halten nur selten den evidenz-basierten Standards der westlichen Hochschulwissenschaft stand, unter anderem deshalb, weil große Kollektive, die man in solchen Studien fordert, über einen längeren Zeitraum unter den gleichen Klimaverhältnissen beobachtet und untersucht werden müssten. Auch eine Nachuntersuchung nach vier bis sechs Monaten ist schwieriger als bei pharmakologischen Studien. Es liegt in der Natur der Sache, dass die unterschiedlichen Einflussfaktoren als Störfaktoren einer klaren Aussage zur Wirksamkeit im Wege stehen. Auch reagieren Kinder in ihrer Entwicklung unterschiedlich auf Klimareize. Die meisten Studien zur Klimatherapie sind deshalb Anwendungsstudien ohne Kontrollgruppe mit niedrigem Evidenzgrad. Dennoch sehen Eltern chronisch kranker Kinder und zur Prophylaxe "ins Klima" kommende Jugendliche offensichtlich diese Erfahrungswerte als wertvoll genug an, um sich den schonenden und reizenden Faktoren des Klimas auszusetzen und dabei auch alle positiven Nebenwirkungen eines Ortswechsels und die Therapie mit Bewegung in gesunder Luft und mit großem Lichteinfluss zu nutzen. Sie werden darin etwa zur Hälfte von ihren Hausärzten unterstützt. Das Wecken der Selbstheilungskräfte unter "weitem Horizont" oder auf den Gebirgshängen in Hügel- und Berglagen ist mangels ausreichender Effektstärken nicht beweisbar, aber im Urgedächtnis des Menschen verankert.

hautsache: a) Wie oft können Kinder und Jugendliche eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme in Anspruch nehmen, wenn sie an Neurodermitis erkrankt sind? b) Welchen Weg müssen Eltern gehen, um diese Reha zu beantragen? c) Wie lange dauert es durchschnittlich, bis die Reha genehmigt und die Aufnahme in die Fachklinik Sylt möglich ist?

Scheewe: a) Regulär ist der Abstand zur nächsten Bewilligung einer Reha-Maßnahme vier Jahre, in mittelschweren bis schweren Fällen genehmigt die Rentenversicherung auch alle 1-2 Jahre eine Reha, immer dann wenn Komplikationen oder Zweiterkrankungen (z.B. Asthma), die soziale Teilhabe (Teilnehmen am ganz normalen Kinderleben) bedroht ist oder nicht vorhanden ist und wenn die spätere Erwerbsminderung durch die Schwere der Erkrankung droht.  

b) Welchen Weg müssen Eltern gehen? Sie können das Antragsformular (G0200)  auf der Website der Rentenversicherung herunterladen, z.B.  www.deutsche-rentenversicherung-bund.de  ("Reha für Kinder und Jugendliche") und es ausfüllen, dann das ärztliche Gutachten-Formular  (G612) durch ihren Kinder- oder Hautarzt ausfüllen lassen (der dafür ein kleines Honorar erhält). In dem ärztlichen Gutachten muss darauf eingegangen werden, welche bisherigen Maßnahmen ambulant erfolgt sind und dass diese nicht ausreichend waren, um das Hautbild zu stabilisieren. Auch hier sollte schon ein Ziel formuliert werden, was in der Reha passieren soll. Die Gefährdung der sozialen Teilhabe sollte erwähnt sein. Bei Kleinkindern bezieht sich das z.B. auch auf Aktivitäten im Kindergarten, spielen im Garten des Kindergartens, das z.B. durch Pollenflug nicht möglich ist, Nahrungsmittelelimination im Hort, die ein Problem sein kann etc.
Die ausgefüllten Formulare werden dann der Rentenversicherung zugeschickt und dort begutachtet. Dann wird nach Genehmigung eine Rehaklinik ausgewählt, die geeignet ist. Eltern haben Wunsch- und Wahlrecht. Ist in der gewünschten Reha-Klinik kein Platz oder entspricht die von den Eltern gewünschte Klinik nicht den Reha-Standards, ist die Rentenversicherung berechtigt, eine andere Klinik auszuwählen. Bei Nicht-Einigung kann Widerspruch eingelegt werden.
Es gibt auch die Möglichkeit, über die Krankenkasse oder Beihilfe eine Reha zu finanzieren. Hier werden die Formulare der jeweiligen Krankenkasse ausgefüllt.

c) Die Reha-Genehmigungszeit hängt vom Kostenträger und dessen Arbeitsstrukturen ab, dauert meist aber nach unseren Erfahrungen maximal vier Wochen. Die Planung der Aufnahme in unserer Klinik ist erst nach Eingang der Kostenzusage bei uns möglich. Die Wartezeiten für einzeln reisende Kinder und Jugendliche, ab neun Jahre, ist vier bis zwölf Wochen, die Wartezeit für kleine Kinder und junge Schulkinder, die von einem Elternteil (oder Großeltern) begleitet werden, kann je nach Krankheitsbild bis zu sechs Monate betragen. In der Regel sind es drei bis vier Monate. Wir führen eine Dringlichkeitsliste, die Kind und Begleitperson bei Absagen anderer begleiteter Kinder innerhalb von vier Wochen einlädt, vorausgesetzt, die auf der Dringlichkeitsliste stehenden Patienten sind bereit, kurzfristig zu planen. Dies ist allerdings bei akut und  schwer Betroffenen meist kein Problem.

hautsache: Wie lange muss sich ein Kind oder Jugendlicher, der an Neurodermitis erkrankt ist, an der Nordsee aufhalten, um von der Klimatherapie profitieren zu können? Welche wissenschaftlichen Befunde gibt es diesbezüglich?

Scheewe: Dazu gibt es keine genauen wissenschaftlichen Daten, die alle Einflussfaktoren (Klimafaktoren, Psyche, Entfernung vom Heimatort etc.) untersuchen konnten. Im Hochgebirge gibt es so gut wie keine Hausstaubmilbenbelastung, an der See so gut wie keine Pollenbelastung. Wenn ich es entscheiden müsste, würde ich mich für einen Klimawechsel entscheiden, d.h. derjenige , der aus den Bergen kommt, sollte an die See und umgekehrt. Diese Entscheidung bezieht sich jedoch nur auf den Klimaeinfluss. Wichtig  bei der Behandlung der chronisch entzündlichen Haut ist aber auch die Vertrautheit, die man in einer Umgebung spüren sollte, nicht nur die Landschaft: Vertrautheit z.B. mit einer Klinik, in der man schon positive Erfahrungen für die eigene Haut gemacht hat, oder Vertrautheit des ambulanten Arztes mit dem Reha-Arzt oder mit der Reha-Klinik, Stichwort Vernetzung und damit gemeinsame Therapiestrategien. Diese haben  aus meiner Sicht über die Klimawirkung hinaus das größere Gewicht.
Sowohl Eltern als auch Ärzte halten die Begriffe "Mutter-Kind-Kur" und "Rehabilitation für das Neurodermitis kranke Kind, den Neurodermitis kranken Jugendlichen" manchmal nicht klar auseinander, so dass es bei Antritt einer Maßnahme auch zu falschen Erwartungen kommen kann. Beides dient zwar im weitesten Sinne der Verbesserung des Hautbildes beim Kind. Die "Mutter-Kind-Kur" ist eine Vorsorgemaßnahme der Krankenkasse, bei die Mutter (bzw. der Vater) als Patient betreut wird und das Kind nur als Begleitperson angesehen und nicht behandelt  wird. Bei der "Rehabilitation für Kinder" steht das Kind als Patient im Fokus der Behandlung, die Eltern werden als Begleitung geschult, aber nicht behandelt. Die Reha wird  v.a. von der  DRV (Deutsche Rentenversicherung) bezahlt und läuft nach evidenzbasierten Therapiestandards ab. Die Mutter-Kind-Kuren sind Vorsorgemaßnahmen und werden vorwiegend von den Krankenkassen bezahlt

hautsache: Welche weiteren Informationen möchten Sie Eltern mit auf den Weg geben, deren Kinder an Neurodermitis erkrankt sind?

Scheewe: Den Eltern eines neurodermitiskranken Kindes /Jugendlichen möchte ich auf den Weg geben, dass wir Ärzte großen Respekt vor ihrem Engagement für ihr Kind haben, da sie oft zu jeder Tages- und Nachtzeit ihrem Kind Hilfestellung geben müssen. Ich wünsche allen Eltern, dass sie immer wieder Kräfte sammeln können und die Zeit bis zur Linderung nicht zu lang sein möge. Die Hoffnung auf  wirksame Therapien ist zum größten Teil schon erfüllt, wenn man  erfahrene Therapeuten gefunden hat, mit denen man auf Augenhöhe zusammen"arbeiten" kann. Darüberhinaus kommen erfreuliche Forschungsideen ans Licht, die die Entzündung der Haut immer besser verstehen und aus diesem Verständnis neue Therapiemöglichkeiten eröffnen.

hautsache: Sehr geehrte Frau Dr. Scheewe, wir danken Ihnen für das Interview und dass Sie sich für die Beantwortung unserer Fragen Zeit genommen haben.


 

 

Dr. med. Sibylle Scheewe
Kinder-und Jugendärztin
Allergologie-Kinderpneumologie-NHV-
Akupunktur-Diabetologe DDG
OÄ der Fachklinik Sylt
Steinmannstrasse 52-54
25980 Sylt/OT Westerland

 

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