
Auf den Sommer haben wir lange gewartet. Licht erhellt wieder unseren
Seelenzustand. Strände laden zum Baden ein. Mode- und körperbewußte
Mitmenschen können wieder alles zeigen. Die Natur blüht auf, leider
auch zum Verdruss für die Bevölkerungsschicht, nämlich der Pollen- und
Allergiegeplagten.
Immer früher beginnt in diesen Zeiten die Pollensaison und Sie dauert,
verursacht durch die Klimaveränderung hin zum Wärmeren, immer länger
an.
Sie sind unendlich viele: Eine einzige Roggen-Ähre setzt etwa fünf
Millionen Pollen frei(1), der Blütenstand einer Birke mehr als fünf
Millionen (2) und ein durchschnittlicher Haselnussbusch 600 Millio-nen
(3). Insgesamt fallen in Mitteleuropa jedes Jahr durchschnittlich
27.000 Pollenkörner aller Art pro Quadratzentimeter Erdoberfläche
nieder.3 Auch jetzt sind sie schon wieder unterwegs. Erle und Haselnuss
lassen ihre Pollen oftmals sehr früh im Jahr fliegen. "Erlenpollen
weisen wir bereits seit der zweiten Januarwoche in der Luft nach. Erlen
haben in diesem Jahr sogar vor der Haselnuss zu blühen begonnen. Das
ist ein ungewöhnlicher Vorgang, dessen Ursache wir noch nicht kennen",
erläutert Professor Dr. Karl-Christian Bergmann von der Deutschen
Gesellschaft für Allergolo-gie und klinische Immunologie (DGAKI).
Bergmann geht davon aus, dass auch die Birke, einer der wichtigsten
Allergieverursacher in Deutschland, dieses Jahr mit der Blüte früh
beginnt – je nach Region Ende März/Anfang April. Einziger Lichtblick:
Der Birkenpollenflug wird geringer ausfallen als 2004. Nach der sehr
intensiven Blüte 2004 brauchen die Bäume eine Erholungspause.
Welcher Baum genau im Frühling die Nase zum Laufen bringt, lässt sich
manchmal nur schwer sagen. Denn wenn man die Pollen von Erle, Hasel und
Birke genauer betrachtet, stellt man fest, dass sich ihre
allergieauslösenden Eigenschaften stark ähneln. Aus diesem Grund
reagieren viele Patienten in Allergie-Hauttests auch auf alle Pollen
gleichzeitig.
Fünf bis zehn Pollen pro Kubikmeter Luft – und die Nase läuft
Pollen sind winzig, durchschnittlich ein Drittel so dick wie ein
menschliches Haar und mit bloßem Auge gerade noch zu erkennen.(4) Sie
können deshalb vom Wind getragen beträchtliche Strecken zurücklegen –
manchmal hunderte und tausende von Kilometern. In Mitteleuropa sind
regelmäßig Pollen aus dem marokkanischen Atlas-Gebirge nachweisbar, und
Allergikern in Stockholm kann die Blüte des Traubenkrauts in Ungarn,
Polen, Tschechien oder der Ukraine zu schaffen machen.(4) Selbst die
durchschnittliche Reisestrecke von etwa 100 Metern (5) ist gemessen an
der geringen Größe der Pollenkörner eine beträchtliche Entfernung.
Massenhaftes Auftreten und weite Verbreitung sind entscheidende
Eigenschaften der Pollen. Nur so können luftbestäubte Pflanzen
sicherstellen, dass genug Pollenkörner an weiblichen Blüten hängen
bleiben, sie befruchten und die Arterhaltung gewährleisten. Für
Pollenallergiker werden diese Eigenschaften allerdings zum Problem.
"Bei Menschen mit einer Allergie gegen Birkenpollen oder die Pollen
anderer Bäume reichen zehn Pollenkörner pro Kubikmeter Luft pro Tag
aus, um eine allergische Reaktion in Gang zu setzen", so Professor
Bergmann. "Bei einer Allergie auf Gräserpollen genügen sogar schon fünf
Pollen." Durch geschlossene Wohnungsfenster, Auto-Belüftungsanlagen mit
Pollenfilter und tägliches Haarewaschen gelingt es kaum, die Umgebung
ausreichend pollenfrei zu halten. Zumal wegen der Reisefreudigkeit der
Pollen auch dann die Nase laufen kann, wenn in der unmittelbaren
Umgebung gar keine pollenschleudernden Pflanzen wachsen.
Vor den Pollen nicht kapitulieren
Fatalismus gegenüber der scheinbaren Übermacht der Pollen ist
allerdings fehl am Platz. Gerade Pollenallergien lassen sich
wirkungsvoll behandeln. Antiallergische Medikamente wie moderne
Antihistaminika und Kortisonpräparate lindern effektiv die Beschwerden.
Bergmann: "Mit der spezifischen Immuntherapie steht sogar eine
ursächliche Behandlungsform zur Verfügung, die Allergien heilen kann."
Bei einer spezifischen Immuntherapie (SIT), auch Allergie-Impfung oder
Hyposensibilisierung genannt, werden dem Patienten standardisierte
Allergen-Präparate mit den für ihn relevanten Allergie-Auslösern (also
zum Beispiel Pollen) in gelöster Form regelmäßig unter die Haut
injiziert. Dadurch gewöhnt sich das fehlgesteuerte Immunsystem an die
Allergieauslöser und reagiert in der Pollensaison nicht mehr mit einer
krankhaften Abwehrreaktion.
"Über 90 Prozent der so behandelten Pollenallergiker kann auf diese
Weise geholfen werden", erläutert Bergmann. Vor dem Beginn einer SIT
muss ein auf die Behandlung von Allergien speziali-sierter Facharzt
aufgesucht werden. Er kann feststellen, gegen welche Pollen der Patient
allergisch reagiert. Das ist die Voraus-setzung um ein individuell auf
den einzelnen Patienten zuge-schnittenes Medikament für die SIT
auszuwählen.
(1) Grevers, Gerhard und Röcken, Martin: Taschenatlas der Allergologie (2001), Georg Thieme Verlag Stuttgart, S. 40
(2) Liem, A. S., Groot, J. Anthesis and pollen dispersal of Holcus
lanatus L. and Festuca rubra L. in relation to climate factors. Rev.
Palaeobotany Palynology 15 (1973) 3; zitiert aus: Kusche, Anna (2002):
Wechselwirkungen zwischen Bir-kenpollen und humanen polymorphonukleären
Granulozyten von Atopikern und Normalpersonen: Bedeutung für die
Initialphase der allergischen Entzündung. Dissertation an der Fakultät
für Medizin der Technischen Universität München
(3) Wahl, Rüdiger: Allergie Ganz einfach, 2. Auflage 1994, Dustri-Verlag Dr. Karl Feistle, S. 14
(4) www.polleninfo.org
(5) Solomon WR: Airborne pollen: A brief life; J Allergy Clin Immunol. 2002 (109): 895-900
Viele weitere Informationen:
Stiftung Deutscher Polleninformationsdienst
www.pollenstiftung.de