
Ärzte
und Familien sind häufig besorgt, dass die empfohlenen Schutzimpfungen
im frühen Kindesalter Allergien auslösen oder die Entwicklung von
Allergien begünstigen könnten.
Während die Entwicklung von
Neurodermitis und anderen allergischen Erkrankungen nicht durch
Impfungen gefördert wird, sind in Einzelfällen besondere
Vorsichtsmaßnahmen notwendig, wenn ein Kind allergisch auf im Impfstoff
enthaltene Stoffe reagiert hat.
Von Christoph Grüber
Hintergrund
Immer mehr Kinder sind von Neurodermitis und anderen allergische
Erkrankungen betroffen. Vermutlich bedingen Änderungen in unserem
Lebensstil, dass immer mehr Menschen, die eine Veranlagung für
allergische Erkrankungen haben, diese auch tatsächlich ausprägen. In
diesem Zusammenhang sind die empfohlenen Schutzimpfungen für Kinder
wiederholt angeschuldigt worden, entweder direkt über die Zufuhr
allergisierender Substanzen oder indirekt über die Verhinderung von
schweren Infektionen, die sonst eine antiallergische Abwehrreaktion
auslösen, die Allergieentwicklung zu fördern.
Daneben gibt es selten schwere allergische Sofortreaktionen auf
Impfungen. Insbesondere die Impfung gegen Masern ist immer wieder als
Gefahr für Kinder diskutiert worden, die gegen Hühnerei allergisch
sensibilisiert sind. In dieser Übersicht wird der gegenwärtige
Forschungsstand hierzu skizziert. Praktische Empfehlungen für die
Impfung von Kindern mit erhöhtem Allergierisiko werden gegeben.
Fördern Schutzimpfungen die Entwicklung von Neurodermitis und anderen allergischen Erkrankungen?
Kinder, die anthroposophische Schulen besuchen, sind aus
weltanschaulichen Gründen häufig unvollständiger geimpft als Kinder,
die reguläre Schulen besuchen.
In Schweden litten deutlich weniger Kinder aus einer Rudolf
Steiner-Schule an allergischen Erkrankungen als Kinder aus einer
regulären Schule.1 Da sich die Kinder auch im Hinblick auf andere die
Atopie-Entwicklung potentiell beeinflussende Lebensstilelemente
unterschieden, ist nicht klar, ob Impfungen hieran einen Anteil hatten.
In einer weltweiten Untersuchung von Schulkindern zur Häufigkeit von
allergischen Erkrankungen wurde unter 13 bis 14jährigen eine etwas
geringere Häufigkeit von Neurodermitis und anderen allergischen
Erkrankungen in Regionen mit besserer Durchimpfung gegen Diphtherie,
Tetanus, Keuchhusten und Masern gefunden als in Regionen mit geringerer
Durchimpfung. Bei 6 bis 7jährigen wurden dagegen keine Unterschiede
festgestellt.2
In Deutschland wurden 1.314 Kinder seit ihrer Geburt im Hinblick auf die Entwicklung allergischer Erkrankungen beobachtet.
Bis zum Alter von fünf Jahren waren Kinder, die besser durchgeimpft
waren, vorübergehend besser gegen Neurodermitis und Asthma geschützt
als Kinder mit schlechtem Impfschutz. Dieser dosisabhängige Effekt war
später im Leben nicht mehr so deutlich nachweisbar.3
Die Schutzimpfung gegen Keuchhusten war in der Vergangenheit
besonders umstritten, weil im Tierversuch das Toxin der Erreger als
Verstärker einer allergischen Immunantwort benutzt werden kann. Eine
große epidemiologische Studie hat gezeigt, dass bei Kindern sowohl
durch die alten ganzzellulären Impfstoffe als auch durch die neuen,
besser verträglichen azellulären Impfstoffe kein erhöhtes Risiko für
eine allergische Immunantwort gegen Umweltallergene und kein erhöhtes
Risiko für allergische Erkrankungen besteht.4
Umgekehrt ist die bei uns nicht mehr generell empfohlene
Schutzimpfung gegen Tuberkulose als Unterdrücker von Allergien
vorgeschlagen worden, da im Tiermodell eine Infektion mit dem Impfstoff
die allergische Sensibilisierung und die allergische Atemwegsreaktion
hemmt.5
In den meisten epidemiologischen Studien konnte ein schützender Effekt bei Kindern nicht nachgewiesen werden.6
Masern-Impfung und Hühnereiweiß-Allergie
Die meisten Masern- und Mumps-Impfstoffe werden auf
Hühnerei-verwandten Medien gezüchtet. Deshalb ist die Impfung gegen
Masern, Mumps und Röteln (MMR) wiederholt angeschuldigt worden, eine
Gefahr für Kinder mit allergischer Sensibilisierung gegen Hühnerei zu
sein. Insgesamt sind schwere allergische Reaktionen auf Masern-Impfung
sehr seltene Ereignisse. In Deutschland wurden bei über 10 Millionen
Dosen neun allergische Reaktionen und sechs Schockreaktionen gemeldet,
die möglicherweise mit der Impfung im Zusammenhang stehen.7
Epidemiologische Untersuchungen haben gezeigt, dass anhand der
allergischen Sensibilisierung gegen Hühnerei nicht vorhersagbar ist,
wer schwer reagieren wird und dass selbst bei Kindern, die auf Hühnerei
klinisch allergisch reagieren, schwere allergische Impfreaktionen
selten sind. Dies mag damit zusammenhängen, dass in der Regel
allenfalls Spuren von Hühnereiprotein im Impfstoff nachweisbar sind.
Wir empfehlen deshalb, nur Kinder mit aktueller ausgeprägter
Hühnereiweiß-Allergie besonderen Überwachungsstrategien während der
Impfung zu unterwerfen, solange nicht mehr Sicherheitsdaten bezüglich
dieser Risikogruppe vorliegen.8
Ein Präparat aus der Schweiz (Triviraten®), dessen Impfviren nicht auf
Hühnerei-verwandten Medien gezüchtet werden und der auch Gelatinefrei
ist, wurde gelegentlich für schwer Hühnereiallergische Kinder
empfohlen. Allerdings ist die schützenden Wirkung des Impfstoffes gegen
Mumps möglicherweise geringer und es besteht, da er nicht öffentlich
für diese Risikogruppe empfohlen ist, keine Rechtssicherheit bei
etwaigem Impfschaden.
Möglicherweise spielen andere Substanzen im Impfstoff, wie Gelatine
oder Antibiotika, eine bedeutendere Rolle bei allergischen
Impfreaktionen auf MMR.
Höhere Konzentrationen von Hühnereiproteinen als in MMR-Impfstoffen
sind in Influenza- und Gelbfieber-Impfstoffen nachgewiesen worden.
Deshalb ist ein vorsichtigeres Vorgehen bei Verabreichung dieser
Impfstoffe bei schwer Hühnerei-allergischen Kindern gerechtfertigt.8
Allergische Reaktionen auf Gelatine
Gelatine ist in manchen Impfstoffen als Stabilisator enthalten. In
Japan scheint ein klarer Zusammenhang von Gelatine und allergischen
Schockreaktionen auf Impfung zu bestehen und früher Hühnerei-Spuren in
Impfstoffen zugeschriebene Schockreaktionen zu erklären.9
Allergische Sensibilisierung gegen Gelatine kann durch Nahrungsmittel
erfolgen, aberdie Epitope von Gelatine-Präparationen können
unterschiedlich sein. So kann es vorkommen, dass Gelatine in
Nahrungsmitteln, aber nicht im Impfstoff vertragen wird und umgekehrt.
Bei bekannter Gelatine-Allergie sollten nach Möglichkeit gelatinefreie
Impfstoffe gewählt werden. Allergische Reaktionen auf Antibiotika
Antibiotika werden Impfstoffen häufig als Konservierungsmittel
zugefügt. Neomycin kann lokale und systemische allergische Reaktionen
hervorrufen. Kontaktallergie gegen Neomycin scheint nicht ein
Risikofaktor für allergische Schockreaktionen auf Impfung mit
Neomycinhaltigen Impfstoffen zu sein.10
Kinder, die eine anaphylaktische Reaktion auf ein bestimmtes
Antibiotikum gezeigt haben, sollten nicht mit einem Impfstoff geimpft
werden, der das gleiche Antibiotikum enthält.
Allergische Reaktionen auf Impfstoffe, die Aluminium
enthaltenAluminiumsalze sind in Impfstoffen weit verbreitet. Aluminium
ist weniger ein Problem wegen allergischen Schockreaktionen, sondern
wegen Lokalreaktionen.
Intramuskuläre Injektion ist weniger als subkutane Injektion mit der
Bildung von Knötchen am Impfort verbunden, die über längere Zeit
bestehen bleiben können.
Schlussfolgerung
Da die Durchimpfung mit den für Kinder öffentlich empfohlenen
Schutzimpfungen nicht die Entwicklung von allergischen Erkrankungen
begünstigt, sollte auch Kindern mit Neurodermitis oder anderen
allergischen Erkrankungen ein wirksamer Impfschutz nicht vorenthalten
werden.
Alle Kinder, ob allergisch vorbelastet oder nicht, sollten nach der
Verabreichung des Impfstoffes noch für eine Weile in der Praxis
bleiben, um im Fall einer sehr seltenen aber potentiell
lebensbedrohlichen allergischen Schockreaktion schnell helfen zu
können. Hühnerei-Allergie ist in der Regel kein Hindernis für die
reguläre MMR-Impfung. Dies reflektieren auch die aktuellen öffentlichen
Impfempfehlungen.11
Besondere Vorsicht mag Kindern gelten, die schwer anaphylaktisch
auf Hühnerei reagiert haben und bei denen die Hühnerei-Allergie noch
klinisch bedeutsam ist. Kinder, die auf eine im Impfstoffpräparat
enthaltene Substanz in der Vergangenheit schwer allergisch reagiert
haben, sollten nach Möglichkeit ein Präparat ohne diese Substanz
erhalten. Ist dies nicht möglich und die Impfung angezeigt, sollte
unter besonderer Überwachung geimpft werden. Kinder, die bereits auf
eine Impfung schwer allergisch reagiert haben, sollten die weiteren
Impfdosen mit diesem Impfstoff unter besonderer Überwachung bekommen.
Die Identifizierung der schuldigen Substanz im Impfstoffpräparat ist
häufig nicht einfach, sollte aber wegen der Bedeutung für nachfolgende
Impfungen versucht werden.

Christoph Grüber
Klinik für Pädiatrie m. S.
Pneumologie/Immunologie
Charité – Medizinische Fakultät der
Humboldt Universität
Literatur
1 Alm JS, Swartz
J, Lilja G, Scheynius A, Pershagen G. Atopy in children of families
with an anthroposophic lifestyle. Lancet 1999;353:1485-8.
2 Anderson HR, Poloniecki JD, Strachan DP, Beasley R, Bjorksten B,
Asher MI; ISAAC Phase 1 Study Group. Immunization and symptoms of
atopic disease
in children: results from the International Study of Asthma and Allergies in Childhood. Am J Public Health 200191:1126-9.
3 Grüber C, Illi S, Lau S, Nickel R, Forster J, Kamin W, Bauer C-P,
Wahn V, Wahn U and the MAS-90 Study Group. Transient suppression of
atopy in early childhood is associated with high vaccination coverage.
Pediatrics 2003;111:e282-e288. URL:
www.pediatrics.org/cgi/content/full/111/3/e282.
4 Nilsson L, Kjellman NI, Björkstén B. Arandomized controlled trial of
the effect of pertussis vaccines on atopic disease. Arch Pediatr
Adolesc Med 1998;152:734-8.
5 Herz U, Gerhold K, Grüber C, et al. BCG infection suppresses allergic
sensitization and development ofincreased airway reactivity in an
animal model. J Allergy
Clin Immunol 1998;102:867-74.
6 Grüber C, Kaul KP. Schützen Mykobakterien vor Asthma und Allergie? Monatschr Kinderheilkd 2002;150:1497-1501.
7 Hartmann K, Keller-Stanislawski B. Verdachtsfälle unerwünschter
Arzneimittelwirkungen (UAW) nach Anwendung von Impfstoffen mit
attenuierter Masern-Komponente. Eine Übersicht der nationalen
Spontanerfassungsdaten 1995-1999. Bundesgesundheitsbl Gesundheitsforsch
Gesundheitsschutz 2001;
44:981-986.
8 Grüber C, Niggemann B.Apractical approach to immunizationinatopicchildren.
Allergy2002;57:472-9.
9 Kelso JM. The gelatin story. J Allergy Clin Immunol 1999;103:200-2.
10 Elliman D, Dhanraj B. Safe MMR vaccination despite neomycin allergy. Lancet, 1991;337:365.
11 Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch Institut, Stand Juli 2002.
Epidemiologisches Bulletin 28/2002:227-242.
Mehr dazu finden Sie auch bei unserem Tipp:
Impfempfehlungen der Ständigen Impfkommission