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10.08.2009

Akuter Allergie-Notstand

Jeder dritte Deutsche ist allergiekrank. Jeder Vierte, insgesamt also etwa 20 Millionen Menschen in Deutschland, hat nach Schätzungen des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA) Heuschnupfen. Die Betroffenen leiden unter allergischem Schnupfen, juckenden Augen und einem stark beeinträchtigten Allgemeinbefinden. Ohne ausreichende Therapie erkranken 40 Prozent der Heuschnupfenpatienten an Asthma, das oft lebenslang bestehen bleibt und hohe Folgekosten verursacht. Noch dramatischer sind die Folgen einer lebensbedrohlichen Allergie auf Nahrungsmittel oder Insektengifte. Bei drei Prozent der Bevölkerung, das sind mehr als zwei Millionen Menschen in Deutschland, besteht die Gefahr, nach dem Stich einer Wespe oder Biene an einem Allergieschock zu sterben. Doch die fachärztliche Versorgung der Allergiepatienten steht am Abgrund: Für die Behandlung beim Allergologen gibt es kein Budget. Ein akuter Allergie-Notstand ist unausweichlich.
Allergiebehandlung ist dem Gesundheitssystem keinen Euro wert.
„Fachärzte mit einer zusätzlichen Weiterbildung in Allergologie können Allergien wirkungsvoll bekämpfen. Sie bekommen dafür von der Kassenärztlichen Vereinigung allerdings kein Geld“, erklärt ÄDA-Präsident Professor Dr. Wolfgang Czech aus Villingen-Schwenningen. Allergiekranke Menschen werden von verschiedenen Fachärzten behandelt, beispielsweise von Hautärzten, HNO-Ärzten, Pneumologen oder Kinderärzten. Die meisten dieser Ärzte haben dafür eine allergologische Zusatzausbildung absolviert und können als Allergologen eine qualifizierte Diagnostik und Therapie bieten. Sie erhalten dafür jedoch kein zusätzliches Honorar, denn seit dem 1. Januar 2009 steht Fachärzten nur pauschal eine feste Summe für die komplette Behandlung des Patienten, das so genannte Regelleistungsvolumen (RLV), zu. So erhalten Hautärzte im 3. Quartal 2009 im Bundesdurchschnitt ca. 17 Euro für die dreimonatige Behandlung ihrer Patienten und HNO-Ärzte ca. 30 Euro. Für die Diagnostik und Therapie von Allergiepatienten gibt es keinerlei Zuschläge. Ausnahme: Die allergologisch tätigen Hautärzte in Baden-Württemberg erhalten im Quartal ein Extrabudget von 3,45 Euro (1,15 Euro monatlich) – allerdings bei vergleichbar niedrigeren RLV.
Es liegt auf der Hand, dass auch mit 1,15 Euro im Monat keinem Allergiker geholfen werden kann, denn dafür ist keine allergologische Untersuchung, Diagnostik und Behandlung möglich. „Das für drei Monate vorgesehene Budget des Facharztes ist bereits beim ersten Arztbesuch des Patienten nahezu ausgeschöpft“, erläutert Czech. Das wissen die Verantwortlichen bei der Kassenärztlichen Bundesvereinigung selbstverständlich. Die Honorare der Fachärzte werden derzeit bei knappen Ressourcen beschnitten, um den gesundheitspolitischen Willen – die Anzahl der ambulant tätigen Fachärzte zu senken – durchzusetzen. Das geschieht auf Kosten der allergiekranken Menschen. „Für Allergologen ist es nicht nachvollziehbar, dass die Gesundheitspolitik allergiekranken Patienten die notwendige Versorgung vorenthält. Meistens sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betroffen. Es handelt sich also um die Menschen, die für die Zukunft unseres Landes stehen. Völlig unberücksichtigt bei gesundheitspolitischen Entscheidungen bleiben die dramatische epidemiologische Entwicklung allergischer Erkrankungen und die sich daraus entwickelnden negativen Folgen für die Volkswirtschaft“, kritisiert Dr. Kirsten Jung, Vorstandsmitglied des ÄDA aus Erfurt. „Wir brauchen ganz dringend ein zusätzliches Extrabudget für die allergologische Versorgung unserer Patienten!“
Spezifische Immuntherapie muss den Patienten weiterhin zur Verfügung stehen.
Für die fachärztliche Behandlung eines Allergiepatienten sind mehrere Arzttermine erforderlich, denn einer erfolgreichen Allergietherapie geht eine sehr sorgfältige Diagnosestellung voraus. Anhand der Ergebnisse der Untersuchungen können nur Allergologen eine spezifische Immuntherapie (Hyposensibilisierung), die als einzige Therapie den Beginn einer Allergie-Karriere stoppen kann, empfehlen bzw. festlegen. Der Arzt injiziert einem Allergiker dazu über einen Zeitraum von etwa drei Jahren regelmäßig ein für ihn speziell ausgesuchtes Allergenpräparat unter die Haut des Oberarms, bis das Immunsystem des Allergikers sich an den Allergieauslöser gewöhnt hat.
Professor Wolfgang Czech fürchtet, dass immer weniger Patienten eine spezifische Immuntherapie erhalten: „Sollte sich an der derzeitigen gesundheitspolitischen Situation nichts ändern und eine Immuntherapie der Patienten wirtschaftlich unmöglich bleiben, werden wir in den nächsten Jahren stark ansteigende Zahlen von Asthmapatienten erleben.“ Bei Heuschnupfenpatienten können Allergologen nur mit einer spezifischen Immuntherapie der Entwicklung eines Asthma bronchiale vorbeugen. Die Behandlung führt außerdem zu einer langfristigen Besserung der Beschwerden und kann weitere Allergien verhindern. Für Insektengiftallergiker, die an ihrer Allergie sterben können, ist eine Immuntherapie besonders wichtig. Die Behandlung hilft bei ihnen nahezu hundertprozentig und kann lebensrettend sein.
„Wenn Entscheidungsträger im Wahljahr nicht nur Lippenbekenntnisse zur Versorgung Allergie-Kranker abgeben wollen, müssen endlich notwendige zusätzliche finanzielle Mittel für Allergiker bereitgestellt werden, um allergologisch tätigen Ärzten diese wichtige Therapieform außerhalb des Regelleistungsvolumens zu ermöglichen“, fordert Kirsten Jung vom Ärzteverband Deutscher Allergologen. Die seit Januar 2009 gültige Honorarreform für vertragsärztliche Leistungen macht jedoch eine fachärztliche Allergie-Diagnostik und -Therapie praktisch unmöglich. Immer mehr Mitglieder des ÄDA signalisieren dem Vorstand des Allergologenverbandes, dass sie keine subkutane Immuntherapie mehr durchführen können, die Behandlung von Allergiepatienten aufgeben müssen und sich vorwiegend ihrem eigentlichen Fachgebiet (Dermatologie, HNO, Pädiatrie, Pneumologie) widmen werden. Leidtragender ist jeder Allergiepatient.
 
 
Fallbeispiel
Allergiediagnostik und -therapie in der Facharztpraxis am Beispiel einer 32-jährigen Allergikerin

1. Termin: Anamnese in einem ausführlichen Arztgespräch
Frau B. H. aus F., 32 Jahre, hat seit mehreren Jahren leichten Heuschnupfen. Im Frühjahr 2009 traten massiv verstärkte Symptome auf, im April erstmals auch Husten und Atemnot. Seit diesem Jahr verträgt Frau H. zudem keine Äpfel und Nüsse mehr. Sie reagiert nach dem Genuss dieser Lebensmittel mit Juckreiz im Mund.
Die Patientin erhält einen neuen Termin für einen Allergietest und soll davor mindestens vier Tage keine antiallergischen Medikamente (Antihistaminika) einnehmen.
2. Termin: Pricktestung
Der Hauttest ergibt Sensibilisierungen gegen Baumpollen, schwächer auch gegen Gräser- und Roggenpollen. Eine erneute Testung mit Allergenen aus verschiedenen Baumpollen weist starke Sensibilisierungen gegen Erle, Hasel, Birke, Buche und Eiche nach.
Um die klinisch relevanten Allergene einzugrenzen, erhält Frau H. drei neue Termine.
3., 4. und 5. Termin: nasale Provokationstests und ausführliches Arztgespräch
An jeden dieser Termine wird ein nasaler Provokationstest (Einatmen jeweils eines Allergens pro Nasenloch) mit Erle und Hasel, Birke und Buche, Eiche und Histamin (Positivkontrolle) durchgeführt.
Während des 5. Termins führt der Allergologe ein ausführliches Gespräch mit Frau H. und klärt sie über die Befunde auf: Es besteht eine starke Allergie gegen Birke und Hasel. Vor allem die Birkenpollen sind problematisch, denn Frau H. zeigte in der Birkenpollensaison bereits Symptome eines oralen Allergiesyndroms (Kreuzallergie auf Äpfel und Nüsse) und reagierte auf Birkenpollen mit Asthmasymptomen (Husten und Atemnot). Es ist zu befürchten, dass sich zusätzlich zum Heuschnupfen ein Asthma bronchiale entwickelt (Etagenwechsel). Zudem wurden bei Frau H. Sensibilisierungen gegen Gräser- und Roggenpollen festgestellt, die bisher jedoch noch keine Symptome verursachten.
Der Allergologe rät Frau H. zu einer spezifischen Immuntherapie (SIT, Hyposensibilisierung) um die Symptome während der Pollensaison zu bekämpfen und Asthma sowie weitere Sensibilisierungen bzw. Allergien zu verhindern. Er erläutert die Vor- und Nachteile der Therapie und gibt Frau H. Bedenkzeit für ihre Entscheidung.
6. Termin: Arztgespräch
Die Patientin klärt letzte Fragen zur geplanten SIT und entscheidet sich für die Behandlung. Sie erhält ein Rezept, so dass das Allergen-Präparat bestellt werden kann.
7.-13. Termin: Beginn der spezifischen Immuntherapie
Es folgen im wöchentlichen Abstand sieben weitere Termine für die Aufdosierung des Allergen-Präparates. Die Injektionen werden vom Arzt durchgeführt. Dazu erfolgt jeweils ein kurzes Arztgespräch. Frau H. wartet außerdem nach der Injektion eine halbe Stunde in der Praxis, um sicherzustellen, dass sie die Allergeninjektion gut verträgt.
Folgetermine: 3-jährige spezifische Immuntherapie
Frau H. erhält nach der Aufdosierungsphase jeden Monat eine Erhaltungsdosis des Allergen-Präparats mit jeweils anschließender 30-minütiger Wartezeit in der Praxis.

Erläuterungen
Die seit dem 1. Januar 2009 geltende Honorarreform für Vertragsärzte legt Regelleistungsvolumen (RLV) fest: einen maximalen Betrag, den der Arzt pro Patient erhält – unabhängig davon, welche Behandlung erforderlich ist und wie häufig der Patient den Arzt aufsuchen muss. Hautärzte erhalten beispielsweise im Bundesdurchschnitt pro Quartal maximal ca. 17 Euro (5,67 Euro monatlich) und HNO-Ärzte pro Quartal maximal ca. 30 Euro (10 Euro monatlich).
Der oben geschilderte Fall einer Patientin mit Heuschnupfen und Asthma-Symptomen ist ein typischer Krankheitsfall. Ähnlich wie Frau H. geht es nach Schätzungen des Ärzteverbandes Deutscher Allergologen (ÄDA) etwa 20 Millionen Menschen, die in Deutschland an einer Atemwegsallergie wie Heuschnupfen oder Asthma leiden.
Es waren insgesamt 13 Termine mit ausführlichen Arztgesprächen und mehreren Untersuchungen/Testungen erforderlich, um eine genaue Diagnose zu stellen und eine geeignete Behandlung einzuleiten. Die allergologische Diagnostik und der Beginn der spezifischen Immuntherapie zur ursächlichen und langfristigen Bekämpfung der Allergieursache fand statt im 2. Quartal 2009 von April bis Juni.
Der behandelnde Allergologe erhielt in Hessen als Hautarzt für das 2. Quartal 2009 ein Regelleistungsvolumen von 14,92 Euro pro Patient. Damit sollte die komplette hautärztliche Behandlung der Patientin im Zeitraum von drei Monaten abgedeckt sein – einschließlich der allergologischen Diagnostik und Therapie, also auch alle oben genannten Leistungen: ein unmögliches Unterfangen.
Für das 3. Quartal 2009 legte die Kassenärztliche Vereinigung Hessen das Regelleistungsvolumen für Hautärzte übrigens auf 13,50 Euro fest. Damit sollen alle fachärztlichen Sonderleistungen, einschließlich der kompletten allergologischen Versorgung eines Patienten, für drei Monate abgedeckt sein. Allein die Praxisunkosten betragen in Hessen etwa 20 Euro pro Patient und Quartal.
Viele Allergologen in einer ähnlichen Situation sehen mit Besorgnis, dass sie ihren Allergiepatienten wegen der fehlenden Kostendeckung die kausal wirkende und von der WHO als Allergie-Impfung empfohlene Immuntherapie nicht mehr ermöglichen können.
Aus dem gleichen Grund müssen Ärzte auf die Durchführung von nasalen Provokationstests verzichten, obwohl sie bei Heuschnupfen nur damit eine klinisch relevante Allergie eindeutig nachweisen können. Denn Hauttestungen fallen auch bei Sensibilisierungen gegen Allergene, die zu keinen Beschwerden führen, positiv aus. Somit ist das in dem Fallbeispiel korrekte Vorgehen des Allergologen zugunsten einer eindeutigen Diagnose vor Beginn der spezifischen Immuntherapie doch nicht mehr typisch.
Die Benachteiligung von Patienten mit allergischen Erkrankungen setzt sich fort in der Regelung, dass schon jetzt ein Heuschnupfenpatient für antiallergische Medikamente wie z.B. Antihistaminika selbst aufkommen muss.

Presseinfo: Ärzteverband Deutscher Allergologen (ÄDA)

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