von Dipl.-Psych. Sonja Dargatz
Stress kennen wir doch alle - mal mehr, mal weniger fühlen wir uns
gehetzt und ausgelaugt, und machmal wissen wir einfach bei einem
Problem nicht weiter. Und wie fühlen wir uns dabei in unserer Haut?
Gerade als Hautbetroffener von Neurodermitis können wir unseren Stress oft
an unserem eigenen Hautbild erkennen oder ablesen. Dieser Zusammenhang
zeigt, weshalb es so wichtig ist, psychologische Strategien zur
Behandlung von Hauterkrankungen heranzuziehen, auch wenn Vitiligo erst
einmal als organische Erkrankung bezeichnet wird.
In der heutigen Medizin wird der betontere Teil einer Erkrankung zu
Beginn eines Wortes bewusst plaziert. Und so stellt Vitiligo eine
grundlegende organische Erkrankung dar, bei der psychologische Faktoren
im Verlauf der Erkrankung mit eine Rolle spielen. In diesem Sinne ist
es eine somatopsychische Erkrankung und nicht eine psychosomatische
Erkrankung. Von einer psychosomatischen Erkrankung würde man hingegen
z. B.sprechen, wenn eine Person aufgrund von Mobbing am Arbeitsplatz
immer wieder eine Magenschleimhautentzündung erleidet und vorher nie
Magenprobleme kannte. Das Wort "Soma" wird aus dem Griechischen mit
Körper übersetzt, das Wort "psyche" mit Seele. Durch den heutigen
Fortschritt der Medizin und der Psychologie sind wir in der Lage,
Erkrankungen viel genauer untersuchen zu können, um neue und bessere
Behandlungsansätze für Hautbetroffene zu entwickeln. Gerade weil
Körper, Geist und Seele eines jeden Menschen eine untrennbare Einheit
darstellen, ist es so wichtig, dieses komplexe Zusammenspiel zu sehen.
Nichts anderes erfasst die Psychodermatologie: Wir sprechen von
einem bio-psycho-sozialen Modell, um Ursachen, Folgen und
Begleitumstände einer Hauterkrankung zu erfassen. Im Zentrum steht der
Hautbetroffene in seiner Umwelt mit seinen Belastungen und seinen
persönlichen Ressourcen. Eines ist sicher: Psychologische Faktoren
haben auf erneuten Ausbruch und Verlauf einer Hauterkrankung Einfluss.
Aber warum lassen sich dann nicht alle Hautbetroffenen einer
Hauterkrankung gleich behandeln, was die Psyche betrifft? Wie kommt es,
dass das, was den einen stresst und seine Haut reizt, den anderen
einfach kalt lässt? Das ist das Ziel dieser Artikelreihe: Ihnen mit
jedem weiteren Artikel das Konzept Stress näher zu bringen; zu lernen,
wie man Stress bewältigt und längerfristig auch vorbeugt. So kann Ihnen
die Psychodermatologie helfen, in Harmonie mit Ihrer Haut zu leben; das
bedeutet nicht, dass diese Erkenntnisse Ihre chronische Hauterkrankung
wie Neurodermitis / Rosacea / Vitiligo einfach wegzaubern könnten,
nein, aber sie können Ihnen deutlich dabei helfen, bei Stress nicht
mehr (so stark) aus der Haut zu fahren, und so selbst erheblichen
Einfluss auf den Verlauf Ihrer Hauterkrankung zu nehmen. Werden Sie Ihr
eigener Gesundheits- und Stressmanager. Sie werden langfristig mehr
innere Ruhe gewinnen, nicht nur im Umgang mit ihrer Haut, sondern ganz
allgemein.
Stress ist heute ein Modewort schlechthin und spiegelt sich in
vielen Sprichwörtern, gerade auf die Haut bezogen, wieder: Man könnte
vor Ärger aus der Haut fahren; man ist dünnhäutig; einem geht etwas
unter die Haut, oder man möchte nicht in der Haut eines anderen
stecken; es läuft einem eiskalt den Rücken runter; man errötet vor Wut
oder erblasst vor Schreck. Hier lassen sich noch viele weitere
Beispiele im Alltag finden. Entscheidend ist jedoch, dass es zwischen
Körper, Geist und Seele eine völlig natürliche und lebensnotwendige
Wechselwirkung gibt, die es im Gleichgewicht zu halten gilt. Das
bemerken Sie schon, wenn Sie einmal für einige Momente Ihre Augen
schließen und sich eine reife, saftige Zitrone vorstellen. Riechen Sie
den Duft der reifen Zitrusfrucht, schneiden Sie diese in Gedanken in
zwei Hälften, riechen Sie am Fruchtfleisch und träufeln Sie langsam
einige Tropfen des sauren Zitrussaftes in Ihren Mund. Spätestens jetzt
bemerken Sie einen sauren Geschmack in Ihrem Mund und ziehen in
Gedanken das Gesicht zusammen.
Der Begriff Stress kommt ursprünglich aus dem Englischen von „to
stress“ und wurde grundlegend von einem Mediziner, namens Hans Seyle,
in den 50er Jahren geprägt. Er beschrieb mit Stress ein Geschehen, dass
den Menschen seelisch und körperlich aus seinem persönlichen
Gleichgewicht bringt, und betonte schon damals, wie individuell
verschieden das Stressgeschehen beim Menschen aussehen kann.
Die ausgelöste Stressreaktion zeigt sich auf verschiedenen Ebenen:
in pyhsiologischen Reaktionen (z.B. schwitzen wir dann), im eigenen
Verhalten (z.B. eine stressige Situation verlassen), auf emotionaler
Ebene (z.B. ängstlich sein) und auf gedanklicher Ebene (z.B. sich den
Kopf zerbrechen, wie es weitergehen soll).
Interessant ist weiter, dass Stress im Alltagsgeschehen fast
ausschließlich als negativ beschrieben wird, als etwas, das uns selbst
überfordert und von dem wir glauben, dass wir es nicht mit unseren
eigenen Fähigkeiten und unserem Wissen bewältigen könnten. Dieser
Stress wird als Distress bezeichnet; die Vorsilbe „Di“ lässt sich mit
"zerstörerisch" übersetzen.
Aber Stress ist nie nur negativ; denn es gibt auch jene
Stresserfahrung, die uns aufputscht und Energie verleiht, wenn wir z.B.
an einem Wettkampf teilnehmen oder ein gutes Projekt bearbeiten. Das
ist der sog. Eustress; die Vorsilbe "Eu" lässt sich mit "gut"
übersetzen.
Und genau hier findet sich die Antwort auf die oben gestellte
Frage: Gerade weil die eigene Bewertung einer Situation als
stressend-bedrohlich oder stressend-herausfordernd jeder für sich
alleine fällt, z.B. in Abhängigkeit von der heutigen Tagesform, von der
persönlichen Lebensgeschichte, vom Glauben an sich selbst und an die
eigenen Fähigkeiten, ist es so bedeutsam, sein eigener Stress- und
Gesundheitsmanager zu werden.
Wir wollen dabei aber nicht den Schwerpunkt allein darauf setzen, was
einen krank machen kann (die sogenannte Pathogenese: Entstehung von
Krankheit), sondern vor allem auf jene Strategien schauen, die uns bei
der Gesundung bzw. Linderung der betroffenen eigenen Haut helfen (die
sogenannte Salutogenese: Förderung von Gesundheit).
Es gilt also, die eigenen Stressquellen zu entdecken; desweiteren
die bisherigen eigenen Strategien danach zu überprüfen, ob sie einem
bei der Stressbewältigung auch wirklich helfen. Sollten diese
Strategien aber nicht effektiv sein, also nicht funktional sein, so
gilt es den Blick darauf zu richten, was einem denn besser helfen
könnte, den eigenen Stress zu bewältigen. Und schließlich sollte auch
die Vorbeugung von Stress ein Thema sein, um langfristig besser für
sich sorgen zu können, mehr Ruhe zu finden und zu bewahren, selbst wenn
einem tagtäglich ein Alltagssturm in unsicheren Zeiten wie diesen
begegnet. Lassen Sie sich nicht umwirbeln und lernen Sie stattdessen,
mit Ihren eigenen Mitteln und Ressourcen Ihren Weg zu finden.