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22.09.2018

Stressentschärfer

Fotolia © contrastwerkstatt

„Was denn, Sie wollen wegen Ihrer chronischen Hauterkrankung zur Reha fahren? Es gibt doch etliche Hauterkrankte, deren Hauterkrankung viel schlimmer ist als die Ihre..! Menschen, die eine Krebserkrankung haben, die brauchen eine Reha, aber Sie?“ Diese Worte hörte eine chronisch Hauterkrankte von einem Kollegen ihres Hautarztes, der ihren Termin als Vertretung für seinen kranken Kollegen übernommen hatte und nicht gewillt war, ihren Reha-Antrag trotz mehr als 10 Jahre andauernder chronischer Hauterkrankung auszufüllen.
Sie dachte entsetzt: „Ich glaub, ich steh` im Wald!“. Dann entgegnete sie ihm: „Wie bitte? Meiner Haut geht es anhaltend schlecht, und woher wollen Sie überhaupt wissen, ob ich nicht schon in meinem Leben an Krebs erkrankt war? Das war ich nämlich, und überhaupt frage ich Sie, was es bringt, mein Hautleiden mit noch schlimmeren Erkrankungen zu vergleichen?“ Die Hauterkrankte verließ den Raum und ließ den sprachlosen Hautarzt einfach hinter sich, am Sprechstunden-Tresen bat sie um einen neuen Termin – und dies nur bei ihrem behandelnden Arzt.

Zu „scharfen“ Gedanken auf der Spur

Prof. Dr. Gert Kaluza führt in seinem Buch „Gelassen und sicher im Stress“ (Springer, 6. Auflage) verschiedene „stressverschärfende Denkmuster“ auf, die den Menschen angesichts „Anforderungen in Beruf und Alltag gedanklich“ erst richtig und „intensiv in Stress…geraten“ lassen. Auf paradoxe Weise sucht er Antworten auf die Frage, was der Mensch gedanklich tunlichst umsetzen sollte, um eine Situation in höchst stressintensiv zu erleben. Ziel dabei ist es, Menschen darin zu unterstützen, ihre eigenen gedanklichen Saboteure in schwierigen Konstellationen dingfest zu machen und auf konstruktive Weise umzustrukturieren, mit dem Ziel, gedankliche Entschärfer aufzubauen und zu stärken.
Kommen wir deshalb zurück zur anfangs geschilderten Situation.

Nicht wahr haben wollen…

Die chronisch Hautbetroffene weiß sich in der beschriebenen Situation zu behaupten, sie reagiert alles andere als sprachlos. Auf meine Frage, wie ihr das gelungen sei, schilderte sie, über viele Jahre gelernt zu haben, für sich selbst aktiv zu sorgen. Sie sei ja schließlich ein großes Mädchen. Früher habe sie oftmals in ähnlichen Situationen sprachlos dagestanden und gedacht: „ Das gibt`s doch nicht! Das kann doch nicht wahr sein!“ Und dann habe sie sprach- und hilflos die entsprechende Situation verlassen, ohne sich für ihre Ziele entschieden eingesetzt zu haben. Sie habe Freundinnen davon erzählt und den Tag damit vergeudet, zu „hadern“, dass die Situation eben so gelaufen sein. Dieses „stressverschärfende Denkmuster“ bezeichnet Kaluza als „Das gibt`s doch nicht – Denken“, der den bereits erlebten und damit vergangenen Stress weiter verstärkt. Der Betroffene kreist gedanklich um die als verfahren erlebte Situation und schafft es auf diese Weise kaum, eben diese gedankliche Spirale aktiv zu verlassen, „um sich „konstruktiv mit der jeweiligen Situation auseinandersetzen“ zu können. Es macht also Sinn, sich in Situationen, die mehr als sprachlos machen, vor Augen zu führen, dass das Geschehene tatsächlich geschehen ist. Man könnte sagen: „Auch so etwas kann Menschen passieren!“ Es nimmt der Situation die Wucht, die einen selbst anderenfalls gedanklich über Stunden lähmen könnte.

Negativ fokussieren

In der beschriebenen Situation hätte die Hautbetroffene auch gedanklich weiter ihren „stressverschärfenden“ „Blick auf das Negative“ lenken können, sodass sie die von ihr erlebte Situation – quasi unter die Lupe gelegt – noch übermächtiger hätte erleben können. Schlimmstenfalls hätte sie sich nicht mehr getraut, einen anderen Arzt aufzusuchen, um sich für ihre Haut und ihre Reha einzusetzen. Passivität und Resignation wären mögliche Folgen.

„Schwächen und Defizite überbetonen“

Eine weitere „Variante des `Blicks auf das Negative`“ definiert Kaluza mit dem „Defizit denken“. Es würde beispielsweise bedeuten, dass die Hautbetroffene den Fehler für den erlebten „Misserfolg“ bei sich selbst suchen würde. Vielleicht würde sie alte Hüte wärmen und sich an andere, bereits erlebte misslungene Situationen erinnern, welche – wie eine selbsterfüllende Prophezeihung – dazu beitragen würden, sich eben nicht an jene Situationen zu erinnern, in denen sie sich für sich selbst erfolgreich einsetzen konnte, Situationen, die einem den Rücken stärken, um künftigen Herausforderungen„gelassen und sicher begegnen zu können“.


Nicht auszumalen…

Auch dieses „stressverschärfende“ Gedankenmuster kennen wir alle mehr oder minder, dass wir uns angesichts einer anstehenden Situation eher über- als herausgefordert fühlen und uns schon im Vorfeld die möglichen mißlichen Folgen ausmalen. Kaluza spricht vom „Negativen-Konsequenzen-Denken“. Und so kommt man über die eine und andere antizipierte und befürchtete Folge vom Hundersten ins Tausendste. Die Hautbetroffene könnte gedanklich darüber katastrophisieren, gar keine Reha-Maßnahme beantragt und damit bewilligt zu bekommen. Sie könnte tatsächlich anfangen zu glauben, dass sie übertreiben und sich anstellen würde. Und sie könnte vor allem die Angst erleben, eine weitere Verschlimmerung der Haut zu spüren zu bekommen. Kontrollverlust und Hilflosigkeit könnten die Folge sein.

Einfach in persona…

Schließlich ist es möglich, dass Menschen Situationen, wie die eingangs geschilderte, „persönlich nehmen“ und damit ihren bereits erlebten Stress weiter erhöhen. Dieses „Personalisieren“, wie Kaluza es bezeichnet, trägt nicht dazu bei, auf Lösungen zu fokussieren, es sorgt im Gegenteil dafür, dass weiter gehadert und Zweifel an sich selbst gehegt werden. Mit Sicherheit macht es Sinn, eine eskalative Situation im Nachhinein danach zu reflektieren, welche Mechanismen eine Rolle und welche Anteile der Kommunikationspartner zum Tragen gekommen sein könnten. Möglicherweise war der behandelnde Kollege im Stress und überfordert, vielleicht spielte er deshalb das Leiden der Hautbetroffenen herunter, jedoch rechtfertigen diese Umstände sein Verhalten nicht. Vielleicht hat die Betroffene auch ihre Erkrankung und vor allem ihr Leiden nicht deutlich genug geschildert. Vielleicht erschien dem Arzt ihre Haut am erlebten Termin auch als zu unbelastet, obwohl ihm ja bewusst hätte sein müssen, dass chronische Erkrankungen nicht unbedingt einen lineraren Verlauf zeigen. Es hilft, Situationen ernst, aber nicht persönlich zu nehmen, und eben manchmal auch, Situationen zu verlassen, wenn in diesem Moment eine Einigung aussichtslos erscheint, um nach anderen Wegen zum Ziel zu suchen. Schon Aristoteles sagte einst: „Wir können den Wind nicht ändern, aber die Segel anders setzen.“

 

Dipl.-Psych. Sonja Dargatz

 

 

 

 

 

 

 

Dipl.-Psych. Sonja Dargatz

Quelle: Mitgliedermagazin vitiligo information 1-18 vom Deutschen Vitiligo Verein e.V. (DVV)

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